Assassino
Mercedes nach rechts abbiegen.
»Das sind sie«, kommentierte Paola und drückte das Gaspedal durch. Der Motor röhrte auf, und Kati wurde für einen Moment in ihren Sitz gedrückt, bevor sie nach vorne katapultiert wurde, weil Paola kurz und scharf bremste. Sie konnte sich gerade noch rechtzeitig mit den Händen am Armaturenbrett abstützen.
Der Mini raste erneut los und Kati zog sich hektisch den Gurt über den Körper. Keine Sekunde zu spät! Paola umkurvte ohne zu bremsen einen vor ihnen fahrenden Kleinlaster, jagte bei Gelb über eine Kreuzung und überholte rechts einen Motorradfahrer. Kati umklammerte den Türgriff und stemmte ihre Füße gegen den Fahrzeugboden.
Vor ihnen tauchte das Heck des Mercedes auf. Paola fiel ein wenig zurück, um nicht entdeckt zu werden. Sie folgten dem Fahrzeug in sicherer Entfernung. Mehrmals musste sie waghalsige Überholmanöver ausführen, um es in dem dichten Verkehr nicht zu verlieren.
Die Verfolgung führte sie aus dem Stadtkern hinaus. Der Verkehr wurde dünner und Paola musste den Mini weiter und weiter zurückfallen lassen. Der Mercedes bog nach rechts ab, und als sie die Einmündung erreichten, war von ihm nichts mehr zu sehen. Paola fluchte leise und gab Gas, aber auch in der nächsten Querstraße war keine Spur des Fahrzeugs zu entdecken.
Sie drehte den Wagen und hielt am Straßenrand. »Er war doch eben noch hier! Sie müssen hier irgendwo in der Nähe sein.«
Kati sprang aus dem Wagen und sah sich um. Sie war froh, Paolas Höllenfahrt lebend überstanden zu haben. Die Straße, in der sie sich befanden, bestand vorwiegend aus leeren Grundstücken: überwucherten Wiesen, wilden Müllhalden und eingezäunten Asphaltflächen, die an vielen Stellen aufgeplatzt waren. Es gab nur einige Industriebauten, die alle versetzt von der Straße lagen.
Kati studierte die Gebäude. Es dämmerte bereits und dieEinzelheiten waren nicht mehr genau zu erkennen. Vor einem Flachbau standen ein paar Lastwagen, es schien dort also Betrieb zu herrschen. Dorthin hatten sich ihre Angreifer gewiss nicht geflüchtet. Zwei weitere Flachbauten waren ebenfalls belegt. Bei einem standen ein paar Männer vor einem halb geöffneten Tor und rauchten, bei dem anderen strich jemand das Tor, mit dem das Betriebsgelände abgeriegelt wurde.
Blieb Gebäude Nummer vier. Es war ein verfallener Backsteinbau, dessen Dach teilweise eingestürzt war. Die Fenster waren größtenteils eingeworfen und das Gras um das Gebäude war lange nicht mehr gemäht worden.
Paola war ebenfalls ausgestiegen und sah in dieselbe Richtung. »Das muss es sein«, sagte sie. »Siehst du das Tor?«
Jetzt fiel auch Kati auf, was sie vorhin nur unbewusst wahrgenommen hatte. Das Rolltor vorne am Gebäude war deutlich neuer als alles andere.
»Wir warten, bis es dunkler ist.« Paola öffnete den Kofferraum und zog aus einer Sporttasche voller Kleidung ein schwarzes Sweatshirt. Sie schälte sich aus ihrem zerfetzten Rollkragenpullover und schlüpfte in das Shirt. Die restlichen Anziehsachen kippte sie achtlos in den Kofferraum. Dann nahm sie die Maschinenpistole vom Rücksitz und verstaute sie in der Tasche. »Es ist etwas auffällig, mit einer MP unterm Arm hier durch die Gegend zu laufen«, erklärte sie.
Sie setzten sich wieder ins Auto und warteten wortlos. Kati hatte jede Menge Fragen, aber sie wusste, dass dies nicht der geeignete Zeitpunkt dafür war. Sie war hin- und hergerissen zwischen Vertrauen und Skepsis. Paola hatte ohne mit der Wimper zu zucken zwei schwer bewaffnete Angreifer getötet!War das Zusammentreffen mit ihr wirklich ein Zufall? Welche Absichten hatte sie? War sie ebenfalls hinter der Fibelscheibe her? Aber warum sollte sie dann ihr Leben riskieren, um Ilyas zu befreien?
Kati kam ein schrecklicher Gedanke. Was, wenn Ilyas gar nicht hier war? Wenn er das Hotel nicht verlassen hatte und sich jetzt anderswo in der Gewalt der Entführer befand?
»Wieso bist du so sicher, dass Ilyas hier ist?«, fragte sie.
»In der Tiefgarage wartete ein weiterer Attentäter im Auto auf seinen Komplizen. Auf dem Rücksitz lag Ilyas«, erwiderte Paola, ohne die Augen von dem Gebäude zu nehmen.
»Und du hast sie nicht aufgehalten?«
»Wie denn?« Paola warf ihr einen kurzen Blick zu. »Superhelden gibt es nur im Kino. Ich bin froh, dass ich deinen Vater retten konnte.«
»Sollten wir dann nicht lieber Hilfe rufen?«
Paola schüttelte den Kopf. »Wen willst du dazu holen? Die Polizei? Die werden uns gleich mit aufs Revier
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