Assassin's Creed: Der geheime Kreuzzug (German Edition)
wieder zurückzogen. Ich verstehe nicht viel von Kriegsführung, was mich nicht grämt, aber es scheint mir, diese kurzen Angriffe könnten Versuche sein, unsere Kräfte auszuloten. Und ich frage mich, ob der Meister seine Entscheidung bedauert, die Zitadelle durch die Vertreibung der Assassinen geschwächt zu haben. Noch vor zwei Jahren wäre kein bloßer Voraustrupp auch nur auf zehn Schritte an die Burg herangekommen, ohne unter den Pfeilen der Bogenschützen der Assassinen oder den Schwertern der Verteidiger zu fallen.
Als er Abbas die Herrschaft über den Orden abgerungen hatte, schickte Altaïr als Erstes nach seinen Tagebüchern – das Werk des Meisters sollte beim Wiederaufbau des Ordens zu einer tragenden Säule werden, eine wichtige Kraft zur Stützung des Fundaments, um das Wirken der Fäulnis in Masyaf aufzuhalten. Unter Abbas’ korrupter Regentschaft hatte es weder die alten Fähigkeiten noch das einstige Training gegeben – die Brüder waren nur dem Namen nach Assassinen gewesen. Die erste Aufgabe, die Altaïr sich stellte, bestand darin, die verlorene Disziplin wiederherzustellen. Der Übungshof hallte wieder vom Klirren von Stahl und den Rufen und Flüchen der Ausbilder wider. Damals hätte kein Mongole einen Überfall gewagt.
Aber kaum waren Name und Ruf der Bruderschaft wieder intakt, beschloss Altaïr, dass der Stützpunkt in Masyaf nicht länger bestehen solle, und entfernte das Banner der Assassinen vom Fahnenmast. Seine Vision für den Orden sah vor, dass die Assassinen in die Welt hinauszogen, sagte er. Sie sollten inmitten der Menschen agieren, nicht über ihnen stehen. Altaïrs Sohn Darim kehrte heim nach Masyaf und fand nur noch ein paar wenige Assassinen vor, von denen die meisten mit dem Bau der Bibliothek des Meisters beschäftigt waren. Als sie fertiggestellt war, wurde Darim nach Konstantinopel geschickt, wo er meinen Bruder und mich ausfindig machen sollte.
Das führt uns zu unserem Auftritt in der Geschichte, der gut achtzig Jahre nach ihrem Beginn erfolgte.
„Aber ich habe das Gefühl, dass es noch nicht vorbei ist“, sagte Maffeo. Er stand da und wartete auf mich. Der Meister wollte uns im Haupthof sehen. Sicherlich zum letzten Mal machten wir uns auf den Weg durch die Festung zum Hof, geführt von Altaïrs treuem Haushofmeister Mukhlis.
Als wir dort anlangten, dachte ich: Was dieser Hof schon alles gesehen hat! Hier war Altaïr zum ersten Mal auf Abbas getroffen, als der mitten in der Nacht dastand und sich nach seinem Vater sehnte. Hier hatten die beiden miteinander gekämpft und waren zu Feinden geworden. Hier war Altaïr von Al Mualim vor versammelter Bruderschaft beschämt worden. Hier war Maria gestorben und auch Abbas.
Nichts von all dem würde auch Altaïr vergessen haben, der den Großteil der Assassinen hergerufen hatte, damit alle hörten, was er zu sagen hatte. Darim war mit seinem Bogen unter ihnen, auch der junge Malik und Mukhlis natürlich, der auf der Estrade vor dem Turm seinen Platz neben dem Meister einnahm. In meinem Bauch war ein Flattern wie von Motten, und ich ertappte mich dabei, wie ich sie mit kurzen, rauen Atemzügen zu beruhigen trachtete, während mich auch der Kampfeslärm im Hintergrund ablenkte. Die Mongolen, so schien es, hatten sich diesen Augenblick ausgesucht, um einen weiteren Angriff auf die Burg zu verüben; vielleicht hatten sie bemerkt, dass die Verteidigungsanlagen momentan verlassen waren.
„Brüder“, sagte Altaïr, der vor uns stand, „unsere gemeinsame Zeit war kurz, ich weiß. Aber ich bin sicher, dieser Kodex wird alle Fragen, die Ihr noch nicht gestellt habt, beantworten.“
Ich nahm das Buch entgegen und drehte es ehrfürchtig in den Händen. Es enthielt die wichtigsten Gedanken des Meisters, das Konzentrat aus Jahrzehnten, in denen er sich dem Studium des Apfels gewidmet hatte.
„Altaïr“, sagte ich, kaum imstande, Worte zu formen, „dieses Geschenk ist … unbezahlbar. Grazie .“
Auf ein Zeichen von Altaïr trat Mukhlis mit einem kleinen Beutel vor, den er dem Meister reichte.
„Wohin wird Euer Weg Euch als Nächstes führen?“, fragte Altaïr.
„Nach Konstantinopel, wo wir einige Zeit verbringen werden. Dort wollen wir eine Gilde ins Leben rufen, bevor wir nach Venedig zurückkehren.“
Er lachte leise. „Euer Sohn Marco wird sicher gespannt sein auf die wüsten Geschichten seines Vaters.“
„Er ist noch ein bisschen jung für solche Geschichten. Aber eines nicht mehr fernen Tages, sì .“
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