Astragalus
wirklich nicht mehr … Julien kommt mit einer dampfenden Tasse vom Gasthof zurück. Ich trinke, die Bitterkeit des Kaffees reinigt meinen Kopf noch für ein paar Minuten, dann kehrt das Schwarz mit Macht zurück, und ich breche endgültig zusammen. Ich habe trotzdem noch Zeit, die weichen Schichten des Ausruhens zu genießen, aus dem mich endlich nichts mehr herausreißen wird, weil Julien das Steuer hält.
… Das Auto ist eine Insel auf einem anderen Strand, fast der gleiche wie der am Morgen, gesäumt vom selben Ozean, mit den gleichen sandigen Windböen, die gegen die Karosserie prasseln. In Juliens Armen weine ich, kleine Böe in der großen, ebenso salzig, ebenso verzweifelt wie das Meer, ich weine ewig. Julien, ganz überrascht von dem, was er ausgelöst hat, versucht dämmende, heilende Worte zu finden; aber ich kann, ich will mich nicht trösten.
Als Einleitung zu diesem Gespräch hatte Julien gesagt: »Du musst mir zuhören, du musst bis zum Ende zuhören …«
Und ich hatte geantwortet, dass ich bereit sei, dass er loslegen solle. Ich dachte, ich hätte mich genügend geschärft, poliert, gepanzert; ich ahnte schon, was ich hören würde, aber ich wusste nicht, dass die Realität der Worte so schmerzhaft sein würde, so überraschend wie ein Pistolenschuss, so erschütternd, so unvorhersehbar. Solange die Frauen, oder die Frau, um Julien herumschlichen wie Schatten ohne Namen und Körper, konnte das Lachen meiner Zuversicht und meiner Jugend sie vernichten, sie gingen durch mich hindurch, ohne mir allzu sehr wehzutun: Fick sie, Julien, du hast recht, fick sie alle.
Aber ich habe nicht das dicke Fell eines Beichtvaters, ich habe nicht die Gleichgültigkeit der Gewissheit. Ich muss weder verstehen noch verzeihen, ich muss nur versuchen, den Hass und die Grausamkeit zu kanalisieren, die wuchsen, während Julien sprach, und die jetzt brodeln und aus meinen Augen quellen, ich könnte brüllen, würgen, foltern.
»Warum nimmst du das denn plötzlich so wichtig? Du warst immer so stark, so zäh, hast dich in Scherze geflüchtet, du warst zynisch, nichts schien dich zu berühren … Anne, hör mir mal zu! Wenn ich dir doch sage, dass es vorbei ist, dass es nur noch dich gibt … Wenn doch morgen uns beiden gehört!«
»Aber gestern, Julien, gestern … Wenn ich mir vorstelle, dass sie da war, vor dem Knasttor, da, wo ich sein wollte! Dass deine ersten Stunden in Freiheit, deine ersten Zärtlichkeiten für sie waren … Nein, nein, das kann nicht sein! Und ich hatte nur dich im Kopf, ich hatte alles aufgehoben, alles versteckt für die Minute, wo ich dich wiedersehen würde!
»Aber … Ich dachte auch, dass du mit Eddie da sein würdest. Und … er hat die andere Kleine mitgebracht, eigentlich war es mehr ein Zufall. Er hat nicht gemacht, was ich ihm gesagt hatte, das ist alles … Versteh das doch, Anne, bitte! Sie hatte sie alle gekauft, zu Hause, die Mutter, die Kinder, sie kommt immer mit Blumen, Spielzeug, Klamotten; sie hat einen braven kleinen Job, ist ganz anständig, sie ist so alt wie ich, seriös, sauber … Komm schon! Sie wollen mich dazu bringen, sie zu heiraten. Neulich hoffte ich, dass du da bist, wirklich, aber da sie nun mal in Reichweite war und mich mit ihrer Zärtlichkeit überschüttet hat …«
»Und wo bleibe ich bei alldem?«
»Du … du warst mein Luxus, mein Geheimnis … Maman, die in ihrer Jugend aus den Karten gelesen hat, sagt mir immer, wenn ich bei dir bleibe, drehen wir wieder irgendwelche Dinger und landen zusammen wieder hinter Gittern … Sie ist ziemlich unglücklich, weil ich mein Gaunerleben weiterführe. Sie ist meine Mutter, was willst du machen … Und die andere Kleine … na gut, es war praktisch, bei ihr zu schlafen, wenn ich nach Paris kam, du weißt ja selbst, dass ich nicht ins Hotel gehen kann. Und bei Pierre und Annie, gib zu, dass das nicht gerade lustig war … Und außerdem … manchmal war ich so müde …«
In die dichte Finsternis schleicht sich ein kleiner Stern. Vielleicht werde ich eines Tages eine Dicke, Saubere, annehmbar für den Clan, dann kann ich Julien mein Bett bieten, meinen Namen wiederfinden … Ja, in ein paar Jahren, wenn ich meine Strafe und meine Jugend abgesessen habe und mir keine anderen Mittel mehr bleiben, um einem Mann zu gefallen!
Warten, bis ich groß bin! Ich habe gewartet, bis ich geheilt war und laufen konnte, das war schon sehr lang. Der Stern ist zu weit weg … Im Moment bin ich hier, der Blick verschleiert von
Weitere Kostenlose Bücher