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Astragalus

Titel: Astragalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albertine Sarrazin
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geschlafen zu haben. Manchmal musste sich die Bewusstlosigkeit der Nacht mit der des Schlafes überschneiden, sicher, aber ohne dass der Bilderstrom und das regelmäßige Hämmern des Fleisches aufhörten, das sich in seinem neuen Zustand eingerichtet hatte. Kreisläufe waren entstanden, Rhythmen: Etwas in meinem Knöchel erwachte plötzlich, zischend, wie Wasser, das aus einem löchrigen Schlauch spritzt; andere Quellen begannen zu sprudeln, dann vereinten sich alle und flossen in Schlängellinien an meinem Körper entlang. Oder der Schmerz verknäuelte sich über der Ferse, rollte sich langsam ein und zog sich auseinander; wenn die Kugel fertig war – inzwischen konnte ich den Moment vorhersehen –, zerplatzte sie und fühlte sich an wie Licht, die Splitter schossen durch meinen Fuß und explodierten in sogleich verlöschenden Sternen in den Zehenspitzen. Dann holte ich Luft. Es würde eine ganze Weile dauern, ehe sich die nächste Kugel bildete. Ich hatte mir noch nie etwas gebrochen, aber ich spürte deutlich, dass es da drin einen Brei von Knochen und Fleisch gab und dass man viel Geschick und Geduld brauchen würde, um das alles zu sortieren. Wenn nicht …
    Ich drückte mich ganz an den Rand des kleinen Betts, damit sich Julien auf den Rücken legen konnte. Ich hatte den Kopf aufgestützt, mein Gesicht in der Dunkelheit über seinem. Die Taschenlampe hatte aufgehört zu leuchten, von ihr blieb nur ein kleines rundes, rötliches Auge übrig, weit weg von uns.
    Den Bauch an Juliens Hüfte, gerührt von der Liebe, dem Rum und dem Geheimnis dieser Nacht, weinte ich ohne echte Tränen. »Ich will nicht …«
    Julien musste ein Auge aufmachen.
    »Was ist los, mein Häschen?«
    »Sie werden mir den Fuß abschneiden … Ich will nicht! Ich … Siehst du denn nicht, dass meine Haxe allmählich verfault? Sie werden sie mir abschneiden, ich werde nie mehr laufen …«
    Was konnte ich schon verlangen? Julien hatte mich als Ganzes gerettet, er würde auch dieses Bein retten. Ich wusste, dass er die Lösung finden würde, exakt an der Grenze der Gefahr. Warten. Nicht schreien, die Zähne zusammenbeißen. Da ist die Mutter, sind die Kinder. Niemals erstaunt, mich immer da liegen zu sehen, wenn sie aufwachen, abends, zwischendurch. Guten Morgen, Mademoiselle, gute Nacht, Gepiepse und Lachen über mein Bett hinweg, aber keine einzige Frage, keine Feindseligkeit … trotz des Nichtausgesprochenen, trotz ihrer Unschuld verstanden ihre Augen und spiegelten die meinen wider. Deshalb versuchte ich nur den abstoßenden Teil von mir vor ihnen zu verbergen, dieses gebrochene, gespaltene, grauenhafte Bein.
    »In ein paar Tagen«, sagte Julien. »Noch ein bisschen Mut, komm schon. Ich bin dabei, dir eine Bleibe zu suchen. Da kann man dich ordentlich verarzten. Aber hier ist es noch zu nah und zu wenig Zeit vergangen. Du weißt ja, dass sie überall suchen, sogar in den Krankenhäusern.«
    Und er ging, und er kam ein paar Nächte später zurück, und wieder ließ das Tageslicht ihn verschwinden.
    Ich hatte es aufgegeben, mich zu wundern, zu fragen. Ich bekam Wasser und Brot, Worte und Musik, mit dem Gefühl, mich vor der Zeit und vor mir selbst zu verschanzen. Wie überall hatte sich eine Routine eingespielt: Psst, psst, Achtung, die Kugel explodiert, bumm, bumm, die Kinder kommen aus der Schule, bald bringt mir Eddie was zu trinken, und ich werde trinken, alles, damit mein Schmerz bis morgen im Wasserbad ruht, bis zum Geruch des Toastbrots, das mit der Kaffeekanne und der großen Schale zu mir hochkommen wird.
    Zwei weitere Wochen vergingen. Ich war irgendwann vor Ostern abgehauen, aber nichts erstand auf, nichts starb, nichts lebte. Ich hatte noch ein paar Monate, um mich auf das Wiedersehen mit Rolande vorzubereiten; ich hatte Julien von ihr erzählt, und er lachte sich halbtot, nachdem wir miteinander geschlafen hatten.
    »Das ist natürlich was anderes als mit deinen Miezen …« Und: »Mach dir keinen Kopf, du wirst da sein. Ich trag dich hin, wenn es sein muss.«
    »Kannst du dir mich auf Krücken vorstellen?«
    »Wir bringen dich im Auto hin, wenn … Aber ich sag dir, in zwei Monaten flitzt du rum wie ein Hase. Denk, was du willst«, sagte er noch und stupste mit seiner Stirn gegen meine, »aber denk vor allem daran, dass du mir nichts schuldest. Und dass ich ein Dreckskerl bin, weil ich mit dir geschlafen habe.«
    »Aber du hast mich doch nicht vergewaltigt, Julien … Das ist doch unwichtig. Bis du nicht vor allem mein

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