Astrella 02 - Brudernacht
ihn etwas anderes noch viel mehr: Wo war Bodo? Was hatten sie mit seinem Hund gemacht? Hatten sie ihn schon getötet? Und was sollte das alles? Was hatten sie mit ihm vor?
Da wurde die Tür aufgestoßen. Herein kam Alexander, gefolgt von Conny. Sie lächelte zwar noch, doch nun wirkte es kalt und gefährlich. Lemsack war sich inzwischen sicher, dass Bodo sie keineswegs gebissen hatte, sondern die ganze Sache nur eine gut durchdachte Falle für ihn gewesen war.
»Lassen Sie mich sofort los!«, sagte er empört. »Das wird Sie teuer zu stehen kommen.«
»Fangen wir an!« Es war Alexanders Stimme, die diesen Befehl gegeben hatte. Und schon fühlte Lemsack sich hochgehoben, nach vorne gekippt. Er tauchte mit seinem Kopf unter, der Sauerstoff wurde ihm knapp. Er zappelte, doch die Schnüre schnitten nur um so stärker in sein Fleisch. Schon begann sich wie im Auto ein schattiger Schleier vor seine Augen zu legen, ließ das Geschehen um ihn herum immer wieder undeutlich, ja beinahe unwirklich werden. Doch leider war das hier kein Traum, aus dem er aufwachen würde und alles wäre wie am Tag zuvor. Gerade als er kurz davor war, ohnmächtig zu werden, holten sie ihn aus dem Becken. Luft! Luft! Luft! Warum nur? Was hatte das alles für einen Sinn? Hatte es überhaupt einen Sinn? Durch den Schleier vor seinen Augen hindurch beobachtete er, wie Alexander auf ihn zukam. Lemsack rüttelte abermals an seinen Fesseln, riss alle seine ihm noch verbliebene Kraft zusammen, doch es half nichts. Stattdessen tauchten sie ihn erneut unter. Lichterspiele mit Abertausenden von Blitzen sausten durch den Nebelschleier. Luft. Die erste Welle des Schmerzes ließ nach. Doch der hässliche Druck auf seine Lungen blieb. Luft! Wie lange noch? Luft, atmen, leben! Neuerlich begann es um ihn herum dunkel zu werden. Diesmal war die Ohnmacht schneller.
Nur mit allergrößter Anstrengung gelang es Lemsack, sich auf das Atmen zu konzentrieren, um nicht wieder das Bewusstsein zu verlieren. Der Schleier lichtete sich ein wenig. Und dann entdeckte er in dieser Lichtung plötzlich Bodo, seinen lieben alten Bodo, der mit ihm durch alle Höhen und Tiefen der letzten Jahre gegangen war. Er zappelte und jaulte, drängte zu ihm hin, und hatte doch keine Möglichkeit, sich gegen die raffinierte Fesselung durchzusetzen, die ihn unerbittlich und bewegungsunfähig auf dem Holzboden liegen ließ. Unter ihn hatten sie eine durchsichtige Plastikplane gelegt. Und noch etwas anderes entdeckte Lemsack, und dieses andere ließ ihn erstarren: eine große Gartenschere in der Hand von Alexander. Dieser schien genau auf diesen Moment des Erkennens gewartet zu haben. Seelenruhig näherte er sich mit dieser Gartenschere Bodo. Lemsack hielt den Atem an.
»Nein, nein, bitte nicht«, röchelte er mit aufgerissenen Augen. Um Alexanders Mund spielte ein zufriedenes Lächeln. In aller Seelenruhe nahm er ein Bein von Bodo zwischen die aufgeklappten Klingen der Schere, und dann hörte Lemsack das Zuklappen und diesen schmerzstarrenden Schrei seines kleinen Freundes. Er fiel abermals in eine tiefe Ohnmacht. Als er aufwachte, wusste er nicht, wie lange sie gedauert hatte, ob das um ihn herum Passierende überhaupt noch Wirklichkeit war. Doch rasch wurde ihm klar, dass alles um ihn herum real war. Und diese Wirklichkeit kannte keine Gnade mit ihm, nahm keine Rücksicht auf seine Wünsche, sondern ließ noch drei weitere grässliche Male das Zuklappen der Schere in sein Bewusstsein dringen; oh, warum durfte er nicht tot sein, warum durfte sich die Hölle ihm schon jetzt im Leben, in der Wirklichkeit zeigen? Warum nur?
Micha wälzte sich auf dem Bett und konnte nicht begreifen, dass ihm so etwas widerfuhr. Verliebt sein! Sein Magen drückte ihn, als hätte er zuviel gegessen. Waren das diese komischen Schmetterlinge, von denen er andere schon so oft hatte erzählen hören? Andere. Er selbst war noch nie verliebt gewesen. Warum auch? Sex mit Frauen konnte er haben, sooft er wollte; sie flogen auf ihn. Doch obschon er bereits viele Frauen gehabt hatte, war noch nie eine dabeigewesen, die ein solches Gefühl in ihm ausgelöst hatte wie Maxi. Sein Alter würde staunen ob seiner Erfolge. Die Alten staunten immer, wenn die Jugend sie wieder mal überraschte. Sie waren einfach zu verbohrt, als dass sie nicht überrascht werden konnten. Micha mochte alte Menschen nicht, ihren Starrsinn, ihre Besserwisserei, ihren Egoismus. Außer seine Mutter, die würde er heute noch mögen. Aber sie
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