Astrella 02 - Brudernacht
das, obwohl er überhaupt nicht daran dachte, sich seiner Verantwortung als Hundehalter zu entziehen. Zugleich fiel ihm auf, dass der Mann ausgesprochen selbstsüchtig war. Jeder andere, normal empfindende Mensch würde zunächst ins Krankenhaus gehen und erst danach zur Polizei, wenn das nun schon unbedingt sein musste. Er hütete sich jedoch, diesen Gedanken laut auszusprechen. So, wie er den anderen einschätzte, würde er damit eine gütliche Einigung von vornherein unmöglich machen. Schade, dass die junge Frau nicht allein war; sie machte einen durchaus vernünftigen Eindruck.
Als hätte sie seine Gedanken lesen können, meldete sich die Frau erstmals zu Wort.
»Aber Alexander! Es ist doch wirklich nicht so schlimm. Und mir reicht es, wenn wir die Wunde schnell in einem Krankenhaus nachschauen lassen und der Mann diese Untersuchung und meine Hose bezahlt.«
»Selbstverständlich komme ich für diese Kosten auf«, stimmte Lemsack sofort zu, froh über die unerwartete Unterstützung. »Und selbstverständlich zahle ich Ihnen auch noch ein Schmerzensgeld.«
Lemsack hoffte, mit diesem Zugeständnis die Spannung ein wenig abzubauen. Insgeheim fragte er sich trotzdem weiterhin, warum die beiden ausgerechnet um diese Zeit hier spazieren gehen mussten.
»Siehst du«, redete die junge Frau erneut auf ihren Begleiter ein. »Was wollen wir mehr?«
»Kommt nicht in Frage!« stellte sich der mit Alexander Angesprochene stur. »Wir wissen ja nicht einmal, wer der Mann ist. Der kann uns alles Mögliche erzählen. Oder haben Sie einen Ausweis dabei?«
Lemsack fühlte sich zu der Bemerkung hingerissen, dass es nur selten dümmere Fragen gäbe. Als ob er mit einem Ausweis joggen gehen würde. Außer seinem Hausschlüssel und der Taschenlampe nahm er nie etwas mit. Langsam begann der andere ihn zu nerven, und nur mit Mühe konnte er es sich gerade noch verkneifen, ihm das alles ins Gesicht zu sagen.
»Nein, habe ich nicht«, antwortete er verdrossen.
»Na, siehst du?«, wandte sich Alexander mit rechthaberischem Unterton wieder an Conny. »Nein, nein – wir gehen jetzt erst zur Polizei, um seine Personalien überprüfen zu lassen. Und damit Sie nicht abhauen, werde ich Ihren Hund solange bei mir behalten.«
Lemsack wollte gerade zu einer heftigen Erwiderung ansetzen, als sich Alexander noch einmal zu ihm umdrehte und mit versöhnlicher Stimme sagte: »Wir müssen ja keine Anzeige machen. So schlimm ist es nun wirklich nicht.«
Als Conny, hilflos die Schulter zuckend, Lemsack zunickte, gab der sich geschlagen. Unter Umständen war es tatsächlich so am besten. Warum hier im Wald und dazu noch um diese Zeit mit einem Menschen herumdiskutieren, mit dem offenkundig auch noch andere ihre Schwierigkeiten hatten? Das brachte außer weiterem Verdruss nichts ein und würde dann wahrscheinlich so oder so bei der Polizei enden.
Also stapften sie zu dritt los. Lemsack fragte die leicht humpelnde Conny, ob er sie stützen solle.
»Nein, danke, es geht schon«, lehnte sie sein Angebot mit einem freundlichen Lächeln ab. Sie sah hübsch aus. Auf einmal meinte er, dieses Gesicht schon mal gesehen zu haben. Es war noch nicht einmal lange her. Doch rasch war der Gedanke wieder verschwunden.
Minuten später waren sie auf dem Parkplatz angelangt, der sich eingangs des Waldes befand. Soweit Lemsack im Lichtschein der Taschenlampe erkennen konnte, stand dort nur ein einziges Auto. Er selbst war von seinem Haus aus losgejoggt, lag es doch nur wenige hundert Meter vom Wald entfernt.
Alexander und Conny bewegten sich zielstrebig zu dem Auto hin, einem silberfarbenen BMW. Lemsack staunte ein wenig, als Conny mit der größten Selbstverständlichkeit zur Fahrertür ging, aufschloss und einstieg. Tief in seinem Inneren blitzte das Wort ›Absprache‹ auf, zu kurz freilich, als dass er es hätte festhalten können. Währenddessen hatte er sich automatisch zu Bodo hin auf die Beifahrerseite orientiert. Doch auf ein Kopfnicken Alexanders hin stieg er hinten ein. Miefige Raucherluft stieß ihm entgegen. Kaum hatte er die Tür von innen zugezogen, stieg vor ihm Alexander mit Bodo ein. Warum rührte sich sein Hund nicht? War er doch schwerer verletzt? Hatte Alexander ihn mit dem ersten Schlag möglicherweise getötet? Neue Angst stieg in ihm hoch. Nicht zuletzt um diese zu bekämpfen, wollte er gerade Alexander wegen Bodo fragen, als dieser sagte: »Ach, sieh an, jetzt wacht der Köter ja wieder auf!«
Tatsächlich konnte Lemsack eine huschende
Weitere Kostenlose Bücher