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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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wie Poosah ihr ruckartig die Hand entzog. Beide wandten sich dem Mädchen
zu. Erschrocken sah Saïna, dass Poosah bereits außerhalb ihrer Reichweite war
und über das Minenfeld lief.
    »Poosah!«, schrie sie voller
Angst. »Die Minen! Komm sofort zu mir und Scooter!«
    Poosah blieb ein paar Meter
entfernt von ihnen stehen, die Hände zu Fäusten geballt und mit finsterem
Blick. Tränen kullerten ihr über die Wangen.
    »Du hast Mama getötet!«, schrie
sie.
    Die Anschuldigung ließ Saïna
erstarren. Sie rang nach Worten, doch Scooter hatte seine Fassung bereits zurückerlangt.
»Das ist nicht wahr, Kleines. Betrüger haben deine Mutter getäuscht, indem sie
behaupteten, einen Weg nach draußen zu kennen, während sie sie in Wirklichkeit
umbringen wollten. Es war ein abgekartetes Spiel, wahrscheinlich gesteuert von
denen in der Außenwelt, um zu verhindern, dass noch mehr Menschen eine Flucht
nach draußen wagen.«
    Doch Poosah wollte sich nicht
überzeugen lassen. »Sie!« Anklagend richtete sie den Zeigefinger auf Saïna.
»Sie ist schuld, dass Mama nach draußen wollte und zu den Lichtmännern gegangen
ist!«
    Scooter beugte sich zu Saïna hin
und flüsterte ihr ins Ohr. »Wir versuchen, ganz langsam zu ihr hinüberzugehen.
Bleib dicht bei mir.«
    Saïna nickte, und sie machten
gemeinsam einen vorsichtigen Schritt auf die Kleine zu. Aber Poosah wich vor
ihnen zurück.
    Ein Schritt.
    Zwei Schritte.
    Drei.
    Klick!
    »Bleib stehen! Beweg dich auf
keinen Fall!«, brüllte Scooter in höchster Erregung.
    Poosah wurde unter ihrer dunklen
Haut auf einmal totenbleich und begann zu zittern. Offensichtlich machte
Scooters erschrockenes Gesicht Eindruck auf sie, oder sie hatte begriffen, was
gerade passiert war. Jedenfalls rührte sie sich nicht mehr vom Fleck.
    Gemeinsam bewegten sich Scooter
und Saïna in kleinen Schritten auf sie zu. Schließlich standen sie alle wieder
dicht beieinander.
    »Beweg dich nicht, bevor ich es
dir sage«, befahl Scooter in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.
»Unter welchem Fuß hat es geklickt?«
    Stumm bibbernd wies Poosah auf ihren
rechten Fuß.
    »Gut. Ich werde jetzt meinen Fuß
direkt neben deinen stellen, dann können wir den Zünder austricksen, denn er
reagiert auf dein Körpergewicht. Solange jemand darauf steht, wird nichts
passieren. Hast du verstanden?«
    Poosah nickte mit ängstlichem
Blick.
    »Was hast du vor?«, fragte Saïna
erschrocken.
    Doch Scooter, dem Schweißperlen
über das Gesicht rannen, blieb stumm. Stattdessen stellte er seinen Fuß direkt
neben den von Poosah und verlagerte sein Gewicht.
    »Sehr gut«, sagte Scooter. »Und
jetzt nimm vorsichtig deinen Fuß weg. Das machst du sehr gut.« Während das
Mädchen ihren Fuß von dem Auslöser zog, schob er seinen darauf. »Und jetzt du,
Saïna!«
    Sie sah ihn an, erfüllt von böser
Vorahnung.
    »Hier, nimm es!«
    Er reichte ihr das Nazar.
    »Aber … warum?«, fragte sie,
obwohl sie es längst ahnte.
    »Ihr müsst damit weitergehen. Ich
warte hier.« Es gelang ihm, einen zuversichtlichen Ausdruck auf sein Gesicht zu
zwingen, doch Saïna konnte seine Angst spüren.
    »Wir könnten zurückgehen und
Hilfe holen«, sagte sie voller Verzweiflung.
    Er schüttelte traurig den Kopf.
»Ihr müsst gehen – jetzt!«
    Es konnte nicht sein. Saïna sah
ihn flehentlich an.
    »Geht!«, schrie er ihr ins
Gesicht. »Ich will nicht, dass die Kleine es sieht!«
    Sein Schrei riss sie aus ihrer
Betäubung. Zögerlich, so als ob Blei jeden ihrer Schritte beschwerte, entfernte
sie sie sich von Scooter, die immer noch zitternde Poosah fest an ihrer Hand.
    »Such nach Torn!«, rief er ihr
zu. »Er ist bereits dort draußen, wahrscheinlich irgendwo in der Stadt, die
westlich von hier liegen soll! Hilf ihm, sein Kind zu finden!«
    Saïna schluckte. Dann nickte sie
heftig. Es war der letzte Wunsch eines Todgeweihten. Tränen liefen ihr über die
Wangen. Sie wusste, dass sie zusammenbrechen würde, wenn sie ihn noch weiter ansah.
Wortlos drehte sie sich um und zog Poosah zu dem Zaun am Ende des Minenfelds.
    Erst etwa drei Minuten danach,
als sie Poosah über den Zaun geholfen und sie beide einen der Durchgänge in der
Blendmauer gefunden hatten, wagte sie es, sich noch einmal umzudrehen. Stumm
winkte Scooter ihr zu. Sie erwiderte seinen Gruß. Dann zog sie Poosah auf die
andere Seite.
    Später wusste sie nicht mehr, wie
viel Zeit von da an vergangen war, bis sie schließlich die Detonation in ihrem
Rücken hörte, fern und unwirklich.

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