Asylon
Tränen liefen ihr übers Gesicht, während sie
eine ihr unbekannte Welt betrat.
17
»William Curtis! Sie
sind verhaftet!«
Torn fuhr herum. Zwei Kerle in
dunklen Anzügen und mit Sonnenbrillen in den Gesichtern standen auf einmal vor
ihm. Einer von ihnen hielt eine erstaunlich große Pistole auf ihn gerichtet,
der andere ließ Handschellen aus leuchtendem Draht von seinem Finger baumeln.
»Und warum?«, fragte Torn, um
Zeit zu gewinnen, während er seine unmittelbare Umgebung nach Fluchtmöglichkeiten
absuchte.
»Wegen Flucht aus einem
Bundesgefängnis! Knien Sie nieder, und legen Sie die Hände auf den Kopf«, sagte
der mit der Pistole.
Kleiderständer rundum. Hinter ihm
ein paar Anprobekabinen. Nichts wirklich Vielversprechendes. Dann fiel sein
Blick auf die Decke, die sich nicht weit über ihm befand.
»Sorry. Später vielleicht«, sagte
er.
Stirnrunzelnd sahen ihn die
beiden an. Dann machte der mit den Handschellen einen Schritt auf ihn zu. Torn
spannte seine Muskeln zum Sprung.
Sekundenbruchteile später hing er
an der kleinen, sternförmigen Konstruktion, die das Ende eines senkrecht aus
der Decke hängenden Rohres bildete. Offensichtlich irgendeine
Brandschutzvorrichtung, denn das Ding begann sofort, die beiden verdutzten
Männer unter ihm mit reichlich Wasser zu beregnen. Torn nutzte ihre Verwirrung,
um sich in einen benachbarten Gang zu schwingen, wo er wieder auf dem Boden
landete und ein stummes Dankgebet für das Training mit den »Klauen« sprach.
Zwischen ihm und den fluchenden
Männern befand sich eine Reihe Kleiderständer mit Herrenmänteln. Er griff sich
einen der Mäntel und stürmte in Richtung Ausgang.
Zehn Minuten später hatte er die
beiden Verfolger abgeschüttelt. Zwar hatte er sich nicht neu einkleiden können,
aber immerhin einen Mantel, der ein wenig von seiner schäbigen Kleidung
verbarg. Tatsächlich erregte er nicht mehr ganz so viel Aufsehen. Trotzdem
sagte ihm sein Bauchgefühl, dass es besser war, allzu öffentliche Orte zu
meiden.
Tief in Gedanken versunken
streifte er eine Mauer entlang. Unvermittelt hatte sich die Architektur, durch
die er sich bewegte, von einem von Wolkenkratzern und weiten Plätzen geprägten
Geschäftsviertel zu Wohnhäusern und kleineren Läden gewandelt. Die Leute, die
ihm begegneten, sahen auch weniger uniform aus. Der Wechsel der Umgebung entspannte
ihn ein wenig. Doch wie, um alles in der Welt, sollte er in dieser Stadt Rygor
und sein Kind finden? Falls sie überhaupt in dieser Stadt waren.
Eins nach dem
anderen, versuchte er sich zu beruhigen. Zuerst
einmal brauche ich einen sicheren Ort und etwas zu essen, dann können wir
weitersehen.
»Zentrale an alle Einsatzkräfte!
Der Flüchtige bewegt sich auf der South Hill zwischen Seventh and Sixth in
nordöstlicher Richtung!«
Torn erstarrte. Die Stimme klang
verzerrt, wie aus einem Funkgerät. Die Quelle befand sich eindeutig irgendwo in
seiner unmittelbaren Umgebung. Erschrocken sah er sich nach allen Seiten um,
doch keiner der Passanten, die seinen Weg kreuzten, schien ihm besondere
Aufmerksamkeit zu widmen.
»Der Flüchtige ist jetzt stehen
geblieben. Agent Teadon, der Mann befindet sich fünf Meter von Ihrer Position
entfernt! Haben Sie Sichtkontakt? Over.«
Torn fuhr herum. Die Mauer. Der
Mann musste direkt dahinter stehen. Sie war gerade mannshoch. Ihm blieben
vielleicht nur Sekunden. Er rannte los. Hinter sich hörte er, wie sich jemand
ächzend und schnaufend über die Mauerkrone wuchtete und die Verfolgung aufnahm.
Obwohl der Abstand zwischen ihnen ein wenig größer geworden war, drang das
unentwegte Quäken des Funkgeräts immer noch an sein Ohr. Anscheinend wurde
seine Position laufend an seine Jäger durchgegeben. Aber wie? Weder waren
Hubschrauber am Himmel, noch konnte er irgendwo Kameras entdecken.
Ein Blick über die Schulter
zeigte ihm, dass er inzwischen von zwei der Anzugträger mit Sonnenbrille verfolgt
wurde. Wenn, wie er gehört hatte, mehrere Kräfte unterwegs waren, musste er
damit rechnen, dass man ihm jeden Moment den Weg abschneiden würde. Er wandte
den Blick wieder in Laufrichtung und konnte gerade noch einer aufgetakelten
Blondine ausweichen. Aufgebracht schimpfte sie ihm hinterher.
Links von ihm öffnete sich die
Straße auf einen großen Platz, um den sich wiederum Wolkenkratzer und andere
Großbauten ringten. Am hinteren Ende konnte er ein Zeichen erkennen, ein großes
»M« auf einer rotgrauen Stele, die wohl den Eingang in ein städtisches
Metrosystem
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