Asylon
nicht. Er drehte sich zu dem Gebäude
um und verstand sofort.
In dem spiegelnden Glas neben dem
Eingang sah er sein verdrecktes, von den Tagen in der Wüste mitgenommenes
Äußeres. Damit stach er inmitten der adretten Eleganz der ihn umgebenen
Menschen heraus wie ein Rhinozeros in einer Schafherde.
Aufmerksamkeit zu erregen war das
Letzte, was er wollte. Wer weiß, vielleicht waren die Mächte, die ihm das
angetan hatten, schon auf der Suche nach ihm. Er musste sich so unsichtbar wie
möglich machen. Und das bedeutete zunächst einmal, er brauchte Kleidung, wie
sie hier üblich war. Doch das war leicht gesagt, wenn man sich ohne jede Mittel
in einer fremden Stadt befand.
Minutenlang zerbrach sich Torn
den Kopf über dieses Problem, während Augenpaar um Augenpaar an ihm hängen
blieb, doch am Ende musste er feststellen, dass er nur eine einzige Option
hatte: Er würde sich stehlen müssen, was er brauchte. Erneut sah er sich um.
Der breite Platz, auf dem er sich befand, wurde von weiteren Wolkenkratzern
gesäumt, aber gegenüber von ihm, auf der anderen Straßenseite, befand sich ein
breites Bauwerk mit höchstens sechs Stockwerken, eine massive Backsteinfestung.
Große weiße Buchstaben an der Gebäudeecke verkündeten, dass es sich um etwas
namens »Macy’s Plaza« handelte.
Macy’s. Er erinnerte sich vage, dass das der Name einer Kaufhauskette war. Dort würde
er finden, was er brauchte.
Ein paar Minuten später stand
Torn auf der Rolltreppe, die ihn aus der zweistöckigen Halle, um die sich die Ladengeschäfte
zogen, hoch zu dem eigentlichen Kaufhauskomplex brachte. Die ungeheure Weite
des Gebäudes ließ ihn schwindeln. Er ertappte sich dabei, wie er sich die Enge
von Asylon zurück wünschte.
Wundervoll, dachte er, ich bin ein Psychokrüppel, der die Mauern, die er
gesprengt hat, im Kopf weiter mit sich herumschleppt.
Er erreichte die Abteilung für
Herrenkleidung. Ein entgegenkommendes Pärchen in lässiger Freizeitkleidung
starrte ihn neugierig und schockiert an. Ärgerlich starrte er zurück. Die
permanente Aufmerksamkeit, die ihm entgegenschlug, trieb ihm Schweißperlen auf
die Stirn. Schon hatte er das Gefühl, der Mittelpunkt des ganzen Kaufhauses zu
sein.
Unablässig rieselte Musik aus
unsichtbaren Lautsprechern, dann und wann von Durchsagen unterbrochen. Immer
wieder zuckte Torn zusammen, weil er glaubte, seinen Namen zu hören, doch jedes
Mal entpuppte sich das Gesprochene nur als harmlose Information oder Werbung.
Vor lauter Paranoia entgingen ihm die zwei Männer in dunkelblauen Anzügen, die
ihre Augen hinter den getönten Gläsern ihrer Sonnenbrillen verbargen. Sie folgten
ihm bereits, seit er die Straße vor dem Komplex überquert hatte.
Der Riese im Fell nahm
seinen Helm ab. Saïna keuchte vor Erstaunen.
»Scooter!«
Sie fiel ihm um den Hals. Ihr
Blick verschwamm. Dann liefen ihr Tränen über die Wangen.
»Vorsicht«, sagte er. »Zwar habe
ich das Nazar, aber wir sollten trotzdem nicht vergessen, dass wir hier von
scharfen Minen umgeben sind.«
Von ihrem Gefühlsausbruch
peinlich berührt, ließ sie ihn los und ergriff Poosahs Hand, damit das nervös
zappelnde Mädchen an ihrer Seite blieb. Poosah betrachtete die beiden
neugierig.
»Bewegt euch nicht zu weit von
mir weg. Die Wirkung des Nazar ist auf einen kleinen Bereich begrenzt, und wenn
ihr den Zündmechanismus einer Mine erst aktiviert habt, kann selbst das Nazar
euch nicht mehr retten.«
Mit kleinen, vorsichtigen
Schritten bewegten sie sich auf den Zaun mit den Selbstschussanlagen zu.
»Torn sagte, du wärst tot!«
Er grinste. »Wie du siehst, bin
ich quicklebendig.«
»Aber … was ist passiert, nachdem
sie dich im Keller gefangen hatten?«
Scooter erzählte von der
schmerzhaften Begegnung mit Rygor und seinen Spießgesellen und wie es ihm am
Ende gelungen war, einen von Rygors Schlägern in seinem Wohncontainer
auszutricksen.
Saïna war noch nicht besänftigt.
»Das ist alles meine Schuld. Hätte ich dich nicht dazu gebracht, mit mir in die
Pathologie zu gehen, wäre dir all das erspart geblieben.«
Scooter schüttelte den Kopf. »So
ein Unsinn. Ich bin es, der in deiner Schuld steht.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Saïna
verwirrt.
Er hielt an und kniete sich vor
ihr und Poosah nieder, fast wie ein Vater, der einem Kind etwas sehr Wichtiges
erklären wollte. Noch waren sie drei Mannslängen von dem Ende des
Minenstreifens entfernt. Hinter ihm war die Staubwolke zu sehen, die die
Offroader der Clanchefs
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