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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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einen fast schwermütigen Ausdruck angenommen. Saïna wurde allmählich
klar, dass es in Wahrheit Sputano selbst war, der die absolute Macht ergreifen
wollte. Offenbar kam dieser Gedanke auch einigen der anderen Clanchefs, denn
sie sah hier und dort eine misstrauische Miene.
    Der Asiate mit den Pockennarben
machte einen Schritt nach vorn, doch einer seiner Gefolgsleute legte ihm die
Hand auf die Schulter, als er gerade den Mund aufmachen wollte. Leise wisperte
der Mann ihm irgendetwas ins Ohr, offenbar nichts Erfreuliches, denn der
Asiate wurde weiß wie die Wand und erstarrte. Auch von den anderen Clanchefs
wagte niemand einen Widerspruch.
    Nach einigen Sekunden nickte
Sputano zufrieden. »Dann sei es so«, sagte er behäbig und stemmte die Hände in
die Hüften.
    Vanderbilt, der bis dahin mehr
oder weniger fassungslos gelauscht hatte, meldete sich endlich zu Wort, indem
er wütend schrie: »Ihr wollt diesen miesen Schmierenkomödianten damit
durchkommen lassen? Merkt ihr Idioten denn nicht, was er vorhat?«
    Mit funkelnden Augen fuhr Sputano
zu ihm herum. »Du Hund!«, brüllte er mit Donnerstimme. »Wage es nicht, diese
Runde und ihre Mitglieder zu beleidigen!«
    Vanderbilt starrte ihn
sekundenlang mit hasserfüllten Augen an. Dann schien er sich kurz zu besinnen,
und blickte hinüber zur Grenze.
    Bevor noch irgendwer reagieren
konnte, sprang er über den kleinen Stacheldraht in das Minenfeld und lief, ohne
auch nur eine Sekunde zu zögern, auf den Zaun mit den Selbstschussanlagen zu.
Saïna zuckte zusammen und erwartete, dass jeden Moment eine der Minen hochgehen
und Schrapnell auch in ihre Richtung streuen würde, doch wundersamerweise passierte
nichts dergleichen. Vanderbilt erreichte den gegenüberliegenden Zaun.
    Dort hielt er kurz inne, drehte
sich zu den verblüfften Zuschauern um und rief: »Adieu, Gentlemen! Ich kehre
zurück in meine Welt!«
    Dann griff er in seine Tasche,
als ob er etwas herausholen wollte. Doch offensichtlich konnte er es nicht
finden. Er wurde totenbleich und begann seine anderen Taschen zu durchwühlen.
    Was sucht er
nur?, dachte Saïna.
    Sie sah ihn den Weg, den er
gekommen war, mit seinen Blicken absuchen, während er heisere Verwünschungen ausstieß.
Sie folgte seinem Blick – und begriff.
    Dort, kaum zwei Meter von ihr
entfernt, lag ein kleiner blauer Gegenstand und glänzte in der Sonne. Auch
Vanderbilt hatte ihn entdeckt. Er starrte ihn fassungslos an, dann merkte er,
dass Saïnas Augen auf ihm ruhten. Das Grinsen, mit dem er sie bedachte, schien
zu sagen: Ich weiß, dass du verstanden hast.
    Und dann, ohne jede Vorwarnung,
griff er in den Zaun am Ende des Minenfeldes. Ein ohrenbetäubender Knall ertönte,
und etwas schnitt mit scharfem Zischen durch die Luft.
    O mein Gott!
Die Selbstschussanlagen!
    Im nächsten Moment war
Vanderbilts Körper von unzähligen kleinen Wunden gezeichnet, durch die das Blut
sickerte. Seine Augen, deren Blick immer noch auf Saïna gerichtet war, verloren
ihren Glanz, und sein Körper brach zusammen. Einzig seine Hand blieb in die
Maschen des Zaunes verkrallt, sodass sein rechter Arm aufragte wie ein
fleischgewordenes Mahnmal.

    Das Gebäude reckte sich
vor Torn empor wie ein gigantischer mahnender Zeigefinger. In seiner Außenhaut
spiegelte sich der Himmel. Der Anblick zog ihn magisch an. Es war ein
Wolkenkratzer. So jedenfalls, dachte er, hatte man diese Gebäude vor dem Surge
genannt.
    Surge?
    Was für ein Unsinn! Die Tatsache,
dass er in diesem Moment vor diesem Ding stand, war der beste Beweis, dass es
nie einen Surge gegeben hatte. Und das wiederum bedeutete, dass er und alle
anderen Bewohner von Asylon Opfer eines gigantischen Schwindels geworden waren.
Der Gedanke daran erfüllte ihn mit maßlosem Zorn. Wer hatte dies alles
inszeniert? Sicherlich dieselben Leute, die auch die für Ermordung seiner Frau
und die Entführung seines Kindes verantwortlich waren. Er schwor sich, sie zu
finden, wo immer sie sich auch versteckten.
    Die Neugier eines Passanten
hinter ihm riss ihn aus seinen Gedanken. Der Mann, ein junger blonder Kerl in
einem dunkelgrauen Anzug war stehen geblieben und starrte ihn an. Als Torn
seinen Blick erwiderte, wandte er sich jedoch sofort ab und ging weiter.
Vorsichtig sah Torn sich um. Verwundert nahm er zur Kenntnis, dass ihn fast
jeder Zweite, der an ihm vorbeiging, mit besonderer Aufmerksamkeit bedachte,
wobei der Gesichtsausdruck der Leute von Erstaunen über Misstrauen bis zu
Belustigung reichte. Irgendetwas stimmte

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