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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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aufwirbelten. Ihre Fahrzeuge waren bereits hinter den
Hügeln verschwunden, die die Stadt verbargen. Die Sonne berührte schon fast den
Horizont und tauchte Sand und Erde um sie herum in ein blasses Orange. Ohne zu
wissen warum, empfand Saïna eine seltsame Wehmut, fast als stünde irgendein
Abschied bevor.
    »Diese Stadt«, begann Scooter mit
ruhiger Eindringlichkeit, »ist nicht das, für was wir sie alle gehalten haben.
Würde ich euch die ganze Wahrheit erzählen, wäre es sicherlich ein schwerer
Schock. Ich habe erlebt, wie sich Leute deswegen sogar umgebracht haben.
Vergebt mir, wenn ich mich daher erst einmal auf das beschränke, was ihr zu
diesem Zeitpunkt unbedingt wissen solltet.«
    Er zog die Augenbrauen hoch, als
erwarte er Saïnas Zustimmung. Doch sie war ganz atemlose Erwartung. Er fuhr
fort.
    »Die Menschen in dieser Stadt
glauben, die Welt dort draußen«, er wies mit einem Kopfnicken in Richtung
Blendmauer, »wäre durch eine Klimakatastrophe untergegangen, den Surge. Sie
glauben, diese Stadt wäre die letzte auf der Welt, von nichts als Wüste
umgeben. Die Grenze, auf der wir jetzt stehen, so heißt es, schütze uns vor
Scharen von halbwilden Hungerleidern. Doch das ist alles nichts als Lüge.«
    Saïna hörte, wie Poosah neben ihr
scharf einatmete, und sie wusste genau, was im Kopf des Mädchens vorging.
    »In Wirklichkeit«, fuhr Scooter
fort, »ist die Welt dort draußen immer dieselbe geblieben. Es hat nie eine
Katastrophe gegeben. Die Grenze schützt uns nicht, sie sperrt uns ein.«
    »Aber warum?«, fragte Saïna
entgeistert. »Was haben wir denen da draußen getan?«
    »Alles zu seiner Zeit«, sagte
Scooter beschwichtigend. »Lass mich euch zuerst erzählen, wie die Menschen dazu
gebracht wurden, die Lüge zu glauben.«
    Ein schneller Wechsel von heiß
und kalt fuhr über Saïnas Gesicht, als sie sich daran erinnerte, was sie
bereits erfahren hatte. »Ich glaube, das weiß ich schon«, sagte sie leise. »Ich
war eine von denen, die die Menschen manipuliert haben.«
    Scooter sah sie erstaunt an. Sie
schluckte die Scham, die sie bei dieser Enthüllung empfand, hinunter. In dem
Leben, an das sie sich erinnerte, hatte sie vor Menschen, die ihr etwas
bedeuteten, nie etwas zu verbergen gehabt. Sie wollte nicht jetzt damit
anfangen. Also berichtete sie Scooter von der Akte in Vanderbilts Palast und
dem, was sie vor seinem Tod von ihm erfahren hatte. Doch auch, wenn sie ihre
Schuldgefühle mit einer festen Stimme zu übertünchen versuchte, empfand sie
innerlich mit jedem Wort, das sie sprach, mehr Abscheu für jenen Menschen, der
sie selbst irgendwann einmal gewesen sein musste.
    Am Ende flüsterte sie, den Blick
zu Boden gerichtet: »Ich fühle mich so schuldig.«
    »Das solltest du nicht«, sagte
Scooter mit fester Stimme. Er ergriff ihre Hand, und als sie daraufhin den Kopf
hob, sah er ihr direkt in die Augen. »Vanderbilt hat dir nur die halbe Wahrheit
erzählt. Tatsächlich bist du diejenige, die mich und viele andere vor dem
Schwindel bewahrt hat.«
    »Wie … wie meinst du das?«,
fragte sie überrascht.
    »Mein Boss Sputano … Er hat
irgendwelche seltsamen Verbindungen zur Außenwelt. Frag mich nicht, wie und mit
wem. Auf jedem Fall hat er erfahren, dass eine Psychologin namens Edina Hoff
dort draußen unter Verdacht steht, das Verfahren der Gedächtnislöschung über
lange Zeit bewusst so sabotiert zu haben, dass der Prozess nicht zuverlässig
funktionierte, bevor sie schließlich selbst verschwand. Edina Hoff. Das bist
du.«
    Saïna hatte das plötzliche
Gefühl, eine in einem Moor Versinkende zu sein, der soeben jemand das rettende
Seil zugeworfen hatte. Doch noch zögerte sie, es zu ergreifen, vor lauter
Angst, es könnte sofort reißen.
    »Ich … Aber was meinst du mit …
nicht zuverlässig? Und warum hat diese Edina …? Ich meine, warum habe ich …?«,
stammelte sie unbeholfen.
    »Warum denn wohl? Weil du ein
Gewissen hattest, darum natürlich. Was das Wie anbelangt, ich bin kein Ingenieur«,
antwortete Scooter schulterzuckend. »Ich kann dir nur sagen, dass es etliche
gibt, die in einem von dir betreuten Transport hierhergekommen sind, aber ihr
Gedächtnis fast vollständig behalten haben. Nimm zum Beispiel mich oder
Sputano. Hunderte andere haben vage Visionen eines früheren Lebens, wie etwa
Lynn, deine Freundin. Sputano und ich waren uns einig, dass wahrscheinlich auch
diese Fälle auf deine Manipulation zurückzuführen sind.«
    Bei Scooters letzten Worten spürte
Saïna,

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