Asylon
ein
Parkplatz. »Dort haben wir den Lieferwagen geparkt. Meinst du, du schaffst das?«
»Ich denke schon«, keuchte sie
heiser. »Und du?«
Pedro grinste. »Unser Freund ist
kein Leichtgewicht. Aber ich denke, ich krieg’s hin.« Er stand auf. »Arriba!
Ándale!«
Sie quälte sich hoch. Poosah
stand neben ihr und starrte mit leerem Blick in Richtung Horizont.
»Komm, Schätzchen!«, stieß Saïna
keuchend hervor.
Als das Mädchen nicht reagierte,
ergriff sie ihre Hand und zog sie mit sich. Irgendwann, so wusste sie, würde
sie Poosah helfen müssen, diese Bilder zu verarbeiten.
Vor ihr legte Pedro Torns gesunden
Arm um seine Schultern. Dann stampften sie voran und ließen nach und nach das
Prasseln und die unwirkliche Helligkeit der Flammen hinter sich. Mit jedem
Schritt wurde es kälter.
Torn stöhnte. Der Stofffetzen,
mit dem sie den Durchschuss an seiner Schulter verbunden hatten, glitzerte
feucht im Mondlicht.
»Dort vorn!«, rief Pedro und wies
auf einen Waldrand.
Saïna strengte die Augen an, und
ein klobiger Umriss schälte sich aus dem Schatten der Bäume. Saïnas Lungen
schmerzten noch immer, als hätte sie das Feuer eingeatmet. Sie biss die Zähne
zusammen.
Nur noch ein
paar Meter …
Pedro und Torn taumelten vor ihr
her wie ein betrunkenes Pärchen.
Endlich erreichten sie den
Lieferwagen. Vorsichtig ließ Pedro den ehemaligen Leveller an der Seite des
Wagens in eine sitzende Position gleiten. Dann setzte er sich neben ihn. Saïna
zog Poosah zu den beiden herüber und hockte sich zu ihnen auf den Boden.
»Ich hatte noch gar keine
Gelegenheit, mich zu entschuldigen«, sagte sie zu Torn.
»Wofür?«
»Für den Barhocker.«
Er grinste. »Oh, verdammt, das
hatte ich bis jetzt erfolgreich verdrängt.«
»Wie kommt ihr überhaupt her?«,
wollte sie wissen. »Ist ja fast so, als hättet ihr mich verfolgt.«
Diesmal war es Pedro, der
antwortete. »Wir haben den Polizeifunk abgehört. Die hatten eure Position,
sobald ihr die Stadtgrenze übertreten hattet. Wahrscheinlich habt ihr
irgendeine Art Sender bei euch, der ihnen hilft, euch aufzuspüren.«
»Ich hab drüber nachgedacht«,
sagte Torn. »Es muss das Nazar sein.«
»Das Nazar?«, fragte Saïna
überrascht. »Aber dann hat uns der Ordo Lucis ins offene Messer laufen lassen.
Glaubst du, dass Scooter …?«
Torn schüttelte den Kopf. »Ich
denke, man hat ihn und die anderen reingelegt. Es ist alles eine riesige
Falle.«
»Aber das verstehe ich nicht.
Warum haben sie uns in dieser Hölle eingesperrt? Und warum all diese Vorsichtsmaßnahmen?
Die Grenze. Die Gehirnwäsche. Der Ordo Lucis. Warum all dieser Aufwand? Was
haben wir den Menschen hier draußen getan? Pedro, du bist von hier. Warum tun
sie uns das an?«
Der Latino bedachte sie mit einem
gequälten Blick. »Später, okay? Jetzt müssen wir uns erst mal um seine
Verletzung kümmern.«
»Und mein Kind«, fügte Torn
hinzu.
»Ja, ja. Und dein Kind,
natürlich«, beschwichtigte ihn Pedro.
»Dein Kind? Was meinst du?«,
fragte Saïna.
»Rygor …«, sagte er. »Kurz bevor
ich die Stadt – man nennt sie hier Asylon – kurz bevor ich sie verließ, habe
ich in einem alten Warenhaus am Stadtgrund gesehen, wie er so einen seltsamen
Fahrstuhl betrat. Es war der Raum, den ich immer in meinen Träumen sehe. Ich
glaube, es ist eine Art Tor zwischen der Stadt und dieser Welt. Er hatte ein
Kind dabei. Mein Kind.«
»Woran hast du es erkannt?«,
fragte Saïna zweifelnd.
Torn schüttelte ungeduldig den
Kopf. »Ich weiß es einfach.«
»Okay, okay«, wiegelte Saïna ab.
»Und wie willst du dieses Kind jetzt finden? Ich meine, es könnte überall
sein.«
»Es gibt ein Adoptionszentrum«,
sagte Pedro. »Wahrscheinlich gehört es SecuCorp. Das ist der Konzern, der euch
…«
»… der uns eingesperrt hat«,
beendete Saïna seinen Satz. Als ob der Name eine innere Tür geöffnet hätte,
stürmte auf einmal eine Flut von Bildern auf sie ein, so wie in dem Moment, als
sie ihre Akte durchgeblättert hatte. SecuCorp. Edina Hoff. Weitere Namen
wühlten sich aus den Untiefen des Vergessens an die Oberfläche ihres
Bewusstseins.
»Warren. Warren McDunn«, murmelte
sie.
»Das ist der Vorstandsvorsitzende
von SecuCorp«, sagte Pedro aufgeregt.
»Ich weiß«, murmelte sie, nicht
ganz sicher, ob das wirklich zutraf.
»Du erinnerst dich«, sagte Torn.
Erst da fiel ihr sein Blick auf. Er starrte sie an, als wäre sie eine Erscheinung.
»Hilf mir, mein Kind zu finden.« Seine Augen glühten.
Für einen
Weitere Kostenlose Bücher