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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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der Gouverneur sonst stets an den Tag legte, nur eine Maske
war, hinter der sich ein namenloser Abgrund verbarg.
    Der Gouverneur flüsterte auf
einmal. In der Stille des Saals klang es lauter als Donnerhall. »Nicht ich
bestimme den Supreme-Leveller, sondern die Clanchefs, verdammt, das weißt du!
Und außerdem«, fügte er hinzu, »killt er nur Leute, deren Tod mir keinen Ärger
bringt.«
    Torn musste bei dieser
eindeutigen Anspielung schlucken, aber er war noch nicht bereit, klein
beizugeben. »Es gibt noch etwas, das ich dir über Rygor zu sagen habe.«
    »Ich weiß nicht, ob ich das
wirklich hören will«, sagte Vanderbilt mit warnendem Unterton, aber Torn ignorierte
es.
    »Ich glaube, irgendjemand bringt
Leute um, indem er sie an der Grenze ins Minenfeld laufen lässt. Wahrscheinlich
lockt er sie unter dem Vorwand dort hinein, es gäbe ein Paradies im
Außenbereich und er kenne einen sicheren Weg dorthin. Rygor scheint ihn zu
decken. Er hat Dutzende von Toten, die meiner Überzeugung nach von innen kamen,
als Transgressionen deklariert. Entweder er deckt irgendjemanden, oder er ist
es selbst.«
    Seine Worte verhallten.
    Stille.
    Überrascht stellte er fest, dass
er offenbar auf einmal allein war. Vanderbilt war einfach stehen geblieben, und
Torn hatte sich nicht nach ihm umgedreht. Jetzt konnte er ihn nirgendwo mehr
erblicken.
    »Cassiel, bist du noch hier?«,
rief er.
    Der Satz geisterte durch den
Saal.
    Noch einmal: »Cassiel?«
    Plötzlich donnerte die Stimme des
Gouverneurs durch den Saal. Sie schien förmlich von überall und nirgends zu
kommen; Torn musste den Impuls unterdrücken, sich die Hände auf die Ohren zu
pressen.
    »Ich warne
dich zum letzten Mal: Misch dich nicht in Sachen ein, die dich nichts angehen!
Sollte ich erfahren, dass du dieser Angelegenheit nachgehst, werfe ich dich
persönlich den Clans zum Fraß vor!«
    Das Portal fiel mit Getöse zu.
Torn konnte hören, wie es von innen verriegelt wurde. Für einen Moment war er
sich nicht sicher, ob er das alles wirklich erlebt hatte. Was war nur in
Vanderbilt gefahren? Hing er selbst in dieser Sache mit drin?
    Wenn das
stimmt, kann ich mich gleich einsargen lassen. Allerdings, schoss es ihm
durch den Sinn, habe ich auch kaum noch etwas zu verlieren.
Vogelfreie brauchen keine Durchsuchungsbeschlüsse. Und Ex-Leveller schon gar
nicht!
    Er beschleunigte seinen Schritt
und verließ den Palast.

    »Marcia. Ich hatte
unmissverständlich darum gebeten, nicht gestört zu werden.«
    Es war nicht so sehr der Ton, der
sie beunruhigte, es war dieses Lächeln. Wie konnte man so lächeln, ohne jede
Freundlichkeit, ohne die geringste Spur menschlicher Wärme?
    »Es … es tut mir leid«, stammelte
sie. »I-ich glaube, es ist die Morphiumdosis, die Sie mir gegeben haben. Das
macht mich so … vergesslich.« Ängstlich biss sie sich auf die Lippen in
Erwartung seiner Reaktion.
    »Tja …«, sagte er langsam,
während er sie weiterhin fixierte wie eine Schlange ihre Beute. »Ich denke auch
allmählich, dass das mit dem Morphium ein Fehler war.«
    »So habe ich das nicht gemeint«,
beeilte sie sich zu versichern. »Das Morphium ist sehr hilfreich. Wirklich!«
    »Wie auch immer, ich glaube, Sie
brauchen vielleicht eine kleine Erinnerungshilfe. Strecken Sie die Hand aus!«
    »Wie bitte?«
    »Strecken Sie die linke Hand aus
und legen Sie sie flach auf den Tisch.«
    »O bitte, ich wünschte, wir
könnten darauf …«
    »Tun Sie, was
ich Ihnen sage!«
    Zitternd legte sie die Hand auf
den Tisch. Tränen rannen ihr über die eingefallenen Wangen. »Bitte, Mr. Vanderbilt,
Sie müssen das nicht tun.«
    »Wenn Sie wüssten, wie falsch Sie
damit liegen«, flüsterte er.
    Aus der Innentasche seines
Mantels förderte er einen Hammer und mehrere Nägel zutage, die so lang waren
wie eine Handspanne.

10
    Langsam näherte sich
Torn dem St. Niclas. Schritt um Schritt schob er sich durch die unwirkliche
Zwischenwelt der mittleren Ebenen. Es musste schon recht spät sein. Niemand war
mehr in den Gassen unterwegs. Nur das Getrippel der Ratten, die ihn im
Verborgenen zu begleiten schienen, und das Tropfen undichter Leitungen über ihm
erfüllte das Halbdunkel. Neben dem Weg gähnte ein Void, eine für die amorphe
Bebauung der Stadt typische Lücke. Meist dehnten sich solche Voids über viele
Stockwerke aus, oft kaum einen Fuß breit, aber Dutzende hoch und tief, eine
schmale vertikale Kluft. Es war ein merkwürdiges Gefühl, in einem so engen Gang
unterwegs zu sein und trotzdem den

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