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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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wiederholten sie die Prozedur mit seinen Füßen. Dann kam der große
Moment. Jones hob die rechte Klaue empor und bedeutete Rygor, seine Hand
hineinzustecken. Neugierig betrachtete Rygor die Klaue. Auf den ersten Blick
sah sie wie der Handschuh einer mittelalterlichen Ritterrüstung aus. Erst beim
zweiten Hinsehen fielen die vielen kleinen Schaltkreise und mechanischen
Elemente auf.
    »T. Gaser« war in den Rand
geprägt. Es verstärkte sein Gefühl der Genugtuung, dass die Klauen, die ihn in
seiner neuen Tätigkeit bestätigten, zugleich ein Beutestück von seinem Erzfeind
waren. Langsam ließ er die Finger in den Handschuh gleiten. Die anderen mochten
das Material für eine spezielle Stahllegierung halten. Er wusste, dass es sich
um Carbon-Nano-Fasern handelte, so leicht wie Papier, aber zehnmal härter als
der Tamahagane-Stahl, aus dem die alten Samurai ihre Schwerter geschmiedet
hatten.
    Jones berührte eine Sensorfläche,
und die Klaue schloss sich um Rygors Hand wie eine zweite Haut. Ein ehrfürchtiger
Schauer rieselte dem neuen Supreme-Leveller über den Rücken. Vorsichtig bewegte
er den Zeigefinger. Sofort nahm die Sensorik die Bewegung auf, und die nanomechanischen
Elemente übersetzten sie in eine Bewegung des Klauenfingers. Auf der Suche nach
einem Gegenstand, der für eine Demonstration geeignet war, fiel sein Blick auf
einen blechernen Papierkorb am Ende der Bank, auf der er saß. Er griff danach,
um ihn vor sich zu stellen, doch zu seiner Überraschung fuhr die Klaue durch
das Blech wie durch Seidenpapier. Ein Griff an die dicke Sitzplanke seiner Bank
ließ das Holz splittern. Ein triumphierendes Keuchen entfuhr ihm. Ungeduldig
ließ er sich von Jones in den linken Handschuh und die beiden Fußklauen helfen.
    »Was für ein Werkzeug. Ich wette,
damit kann man mit Leichtigkeit Knochen brechen und Kehlen zerquetschen«,
stellte er befriedigt fest.
    Jones machte ein grimmiges
Gesicht. »Unser Kodex verbietet es uns, sie in dieser Weise einzusetzen.«
    »Nun, das ist ein alter Zopf, den
ich abschneiden werde. Ich will die Leveller zur stärksten Macht in dieser
Stadt machen. Und ich werde tun, was dazu nötig ist. Hast du verstanden?«
    »Ja, Sir«, antwortete Jones ohne
Begeisterung.
    Nun ja, Rygor würde ihn sich bei
anderer Gelegenheit noch einmal vorknöpfen. Diese Männer hatten das Zeug, der
mächtigste Clan in der ganzen Stadt zu werden, doch dafür mussten sie erst
diese altbackenen Prinzipien von Neutralität und Zurückhaltung aufgeben. Er würde
dafür sorgen, dass diese lächerlichen Regeln dort landeten, wo sie hingehörten:
auf den Müllhaufen der Geschichte. Vor seinem geistigen Auge konnte er sich
schon sehen, als oberster Clanchef, der neue unumstrittene Anführer aller
Clans.
    Er hätte das hier schon viel
früher tun sollen, aber bisher hatten ihn dumme Loyalitätsgefühle davon
abgehalten. Seine Vorgesetzten wären sicherlich kaum erfreut gewesen von
seiner jüngsten Entwicklung. Seine Aufgabe beschränkte sich deren Meinung nach
im Wesentlich auf Beobachtung. Eingreifen durfte er nur, wenn das Unternehmen
in Gefahr geriet. Doch in den letzten Tagen war ihm immer mehr klar geworden,
dass sie diese Welt in Wahrheit gar nicht mehr kontrollierten. Die Erkenntnis,
so musste er sich innerlich eingestehen, hatte er vor allem Edward zu
verdanken. Selbstverständlich würde er irgendwann auch ihm entgegentreten
müssen, aber das hatte Zeit.
    Jones hatte ihm zwischenzeitlich
auch die linke Fußklaue angelegt. Vorsichtig stellte sich Rygor hin und bewegte
sich ein paar Schritte auf und ab. Das Gehen auf der Mechanik war ungewohnt.
Ein ums andere Mal stand er kurz davor, zu stolpern oder auszurutschen, aber
nach einer Weile funktionierte es ganz prächtig.
    Es war an der Zeit,
auszuprobieren, was die Dinger wirklich drauf hatten. Durch eine kleine Tür
wechselte er von der Umkleide in den Trainingsraum der Leveller. Dort hatte man
in einer größeren Halle typische Situationen der Stadt nachgestellt: enge
Gassen, in denen man kaum aufrecht gehen konnte; Wohnungen, die eher
Kaninchenlöchern ähnelten; und schließlich die Voids, tote Räume in den
verschiedensten Formen, die durch die asymmetrische Architektur einer organisch
gewachsenen Stadt entstanden waren. Hinter ihm trat auch Jones durch die Tür.
Auch er hatte seine Klauen übergestreift.
    »Zeig es mir!«, befahl Rygor.
    Es bereitete ihm großes
Vergnügen, den großen Kerl herumzuscheuchen. Die Leveller waren ein anderes
Kaliber als

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