Asylon
Ehrengasse, die
ihn förmlich ansaugte. Doch die Neugier hielt ihn davon ab, diesen Weg sofort
zu beschreiten. Stattdessen schlich er sich an der Wand entlang bis zur Tür des
ersten Arbeitszimmers, und er klopfte vorsichtig an das wuchtige Eichenholz.
Keine Antwort. Er drückte die gusseiserne Klinke. Knarrend schwang die Tür auf.
Dahinter befand sich ein kleines, spartanisch eingerichtetes Vorzimmer.
Ein Schreibtisch mit einem
altertümlichen Telefon und eine Standlampe dominierten den Raum. Am anderen
Ende führte eine kleinere Tür mit einem großflächigen Fenster in das dahinter
liegende eigentliche Büro. Torn öffnete auch diese Tür und blickte in eine
undurchdringliche Düsternis. Widerlich süßlicher Geruch schlug ihm entgegen,
ganz ähnlich dem fauligen Gestank des Schachts, in dem der asiatische Imbiss
nahe seiner Wohnung seine Speisereste entsorgte. Wahrscheinlich waren hier
ganze Rudel jener Ratten verendet, die das Gewölbe in beträchtlicher Anzahl
bevölkerten.
»Hallo?«, rief er ohne rechte
Hoffnung auf Antwort.
Der Raum schien verlassen, und
Torn verspürte nicht die geringste Regung, tiefer in das Geheimnis seiner Leere
zu dringen.
Er ging zurück in die Halle.
Konnte es wirklich sein, dass alle Zimmer hinter den Dutzenden Türen, die die
Seitenwände säumten, unbesetzt waren? Torn beschloss, sich Antwort auf diese
Frage zu verschaffen. Wahllos öffnete er eine weitere Tür auf seiner Seite und
fand sich in einem Vorraum wieder, der identisch mit just jenem schien, den er
gerade verlassen hatte.
Mit einer Ausnahme.
Das Zimmer dahinter war hell
erleuchtet.
Und nicht nur das. Es schien
tatsächlich belegt. Auf dem illuminierten Geviert der Milchglasscheibe konnte
Torn den Schattenriss eines Menschen sehen. Kopf und Schultern waren als
Silhouette klar erkennbar. Der Höhe nach saß die Person auf einem Stuhl. Torn
klopfte gegen die Scheibe und drückte dann die Klinke.
Verschlossen.
Torn klopfte erneut und rief.
Die Person verharrte bewegungslos
in ihrem Stuhl. Täuschte er sich und war das vielleicht nur die verzerrte
Silhouette irgendeines Einrichtungsgegenstandes? Andererseits deutete das Licht
doch deutlich darauf hin, dass sich in dem Raum jemand aufhielt. Aber warum
ignorierte man ihn dann?
Torn hämmerte mit der flachen
Hand gegen die Tür, dass das Glas im Rahmen schepperte.
Keine Reaktion.
Missmutig beschloss er, der Sache
keine weitere Beachtung zu schenken.
Er verließ das Vorzimmer und
betrat wieder den Saal. Mit schnellem Schritt durchmaß er die restliche Distanz
zum Portal. Es war deutlich zu erkennen, dass man den Durchgang erst
nachträglich in die vorhandene Mauer geschlagen hatte. Die Tür selbst bestand
aus zwei hohen Holzflügeln mit schwerem Bronzebeschlag. Torn zog an einem der
mächtigen Griffe. Es kostete ihn nicht wenig Kraft, den Flügel zu bewegen.
Durch den sich öffnenden Spalt schlüpfte er in den Raum dahinter. Mit sprödem
Knarren schwang die Tür hinter ihm wieder zurück in ihre Ausgangsposition.
»Was kann ich für Sie tun, Sir.«
Torn zuckte zusammen. Nachdem der
Saal und die Büros ringsum offenbar völlig verwaist waren, hatte er eine
menschliche Ansprache gar nicht mehr erwartet. Schräg von ihm, halb von einem
hölzernen Paravent verborgen, der in der vorderen Ecke des Raums eine kleine
Garderobe abtrennte, saß eine Empfangsdame an ihrem Schreibtisch, deren
Arbeitsfläche deutlich reichhaltiger von Utensilien in Beschlag genommen wurde
als in den Vorzimmern, die er gerade inspiziert hatte.
Torn trat näher. Er konnte sich
nicht erinnern, die Frau bei einem seiner früheren Aufenthalte schon einmal
gesehen zu haben. Sie war blond, schlank, in mittleren Jahren. Früher mochte
sie einmal eine Schönheit gewesen sein, doch in den Jahren hatte sich eine
seltsame Mattigkeit über ihr gesamtes Wesen gelegt. Sie trug ein altmodisches
grünes Hängerkleid, das mehr auf eine viktorianische Soiree gepasst hätte als
in dieses Vorzimmer. Auf einem ihrer Unterarme prangte eine verblasste
Tätowierung von minderer Qualität. Torn wunderte sich ein wenig über diese
höchst exotische Erscheinung.
»Ich bin Torn Gaser«, stellte er
sich vor und fügte hinzu: »Masterleveller Torn Gaser.« Das stimmte zwar nicht
mehr so ganz, aber seine Suspendierung ging sie seiner Meinung nach nichts an,
und sie sollte gleich wissen, dass er in einer wichtigen Angelegenheit gekommen
war. Dennoch kam er nicht umhin, zu äußern: »Ich habe Sie hier noch
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