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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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Sie sind heute
Abend hier, um seinen Geburtstag zu feiern.«
    Alle Blicke ruhten jetzt auf ihr.
Saïna bemerkte, dass insbesondere Ishihada-San, der Anführer, ein untersetzter
Kerl mit schmalem Schnurrbart und Glatze, mit unverhohlenem Vergnügen ihren
Ausschnitt inspizierte. Unter anderen Umständen hätte sie ihm in die Eier
getreten. Na ja, mindestens verbal. Stattdessen begnügte sie sich mit einem
unbestimmten »Hallo!« gefolgt von einigen Momenten peinlichen Schweigens auf
beiden Seiten, bis Radu die Situation erneut in die Hand nahm.
    »Verzeiht ihr, Ishihada-San.
Saïna ist noch ein bisschen schüchtern, weil sie heute das erste Mal hier ist.«
    Statt zu antworten, quittierte
der Japaner dies mit einem gutturalen Lachen, in das bald auch seine Begleiter
einfielen. Saïna spürte, wie ihr das Blut zu Kopf stieg. Sie kam sich wie
irgendein dussliges Huhn von Schulmädchen vor. So sehr sie Radu liebte und verehrte,
in diesem Moment hätte sie sie kalt lächelnd umbringen können.
    Die Gruppe hatte den Eingang
erreicht. Derselbe Maston, der sie vorhin abgewiesen hatte, winkte sie nun
anstandslos durch und ins Innere des Clubs. Radu konnte sich eine obszöne Geste
in Richtung des Mastons nicht verkneifen. Der Stiernacken ignorierte sie. Saïna
ertappte sich dabei, dass sie das glatt ein wenig enttäuschte.
    Sekunden später standen sie in
dem ersten von vielen Räumen, aus denen der Stripclub offensichtlich bestand.
Saïna erfasste intuitiv, dass irgendetwas mit der Architektur nicht stimmte,
aber sie brauchte eine Weile, bis sie darauf kam, was es war.
    Gefälle!
    Der Raum hatte genauso wie alle
nachfolgenden ein Gefälle. Zwar war es so leicht, dass man es kaum bemerkte,
aber es bewirkte eine permanente unterschwellige Verunsicherung. Nach einer
Weile kam sie sich wie ein betrunkener Seemann vor. Jeder Durchgang erschien
wie ein Maul, das nach dem Eintretenden schnappte und ihn schließlich
verschluckte.
    Auch darüber hinaus war die
Einrichtung auf einschüchternde Weise beeindruckend. Jeder neue Raum, den sie betraten,
war ganz in einer bestimmten Farbe und dazu passendem Thema gehalten. So waren
etwa der erste Raum und alles, was sich darin befand, scharlachrot, einschließlich
der schweren Samtvorhänge, Fauteuils und nicht zuletzt der Bühne, auf der sich
bereits zwei halb nackte Tänzerinnen räkelten. Der nächste Raum simulierte die
sterile Atmosphäre eines OP s, von oben bis unten türkis gekachelt. Es
folgte ein Fin-de-siècle-Boudoir aus bernsteinfarbenem Samt und dann die
Nachbildung eines U -Boot-Kommandostands im roten Schein der
Gefechtsbeleuchtung, und so ging es immer weiter.
    Ishihada-San brachte sein
Vergnügen an diesen Attraktionen immer wieder durch sonore Grunzer zum Ausdruck.
Zu ihrer Erleichterung hatte Saïna herausgefunden, dass sein Englisch einen
recht bescheidenen Umfang aufwies. Seine Konversationsmöglichkeiten
beschränkten sich daher im Wesentlichen auf Gestikulieren und … nun ja, eben
Grunzen. Abgesehen von seinen Blicken, die bei jeder Gelegenheit Saïnas Körper
abtasteten wie ein gegnerischer Sonar, war er ein vollkommener Gentleman, rührend
darauf bedacht, ihr jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen, bevor es sie auch
nur ins Stocken bringen konnte.
    Nach einem schier endlos
anmutenden Fußweg, der sie durch alle denkbaren Farben des Spektrums und ein
Kaleidoskop von Ausstattungen führte, landeten sie schließlich in dem Raum, in
dem die Herren offensichtlich einen Tisch für sich reserviert hatten und der
dem bisherigen Erlebnis noch eine weitere Nuance hinzufügte: Alles war komplett
in Weiß gehalten, und Wände, Bar und Bühne sowie alle Möbel waren mit dickem Plüsch
versehen. Man kam sich vor wie in einer Wolkenlandschaft.
    Saïna kam aus dem Staunen nicht
mehr heraus. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass es in dieser Stadt Orte
gab, die so exquisit ausgestattet waren. In einer Nische direkt neben der Bühne
befand sich ein runder Tisch mit halbkreisförmiger Bank, den die Japaner
zielsicher ansteuerten. Selbstverständlich beanspruchte Ishihada-San den Platz
neben ihr. Als er sich auf die ebenfalls dick beplüschte Bank fallen ließ,
erhaschte Saïna einen Blick auf die gewaltige Knarre, die er unter seinem Jackett
trug, eine großkalibrige, klobige Pistole. Die Gäste nach Waffen abzutasten
fiel offensichtlich nicht in die Zuständigkeit der Mastons an der Tür.
    »Stell dir vor, wie viel Eisbären
hierfür sterben mussten«, flüsterte Radu ihr ins

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