Asylon
die Bühnenbeleuchtung auf, und
Saïnas Sitznachbarn verwandelten sich in Scherenschnitte. Die Silhouetten
starrten alle gebannt auf die Bühne.
Offenbar würde die Show gleich
beginnen. Saïna, die den Gedanken an weiblichen Striptease etwa so erregend
fand wie Zahnschmerzen, tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie auf diese
Weise zumindest einen Eindruck von dem erhalten würde, was Lynns Broterwerb
gewesen war. Gleichwohl rutschte sie unbehaglich auf der Bank hin und her,
während Ishihada-San und seine Männer untereinander erwartungsvoll tuschelten.
Eine Nebelwolke kroch über das
Parkett, bauschte sich langsam auf und verhüllte bald die ganze Bühne. Saïna
spürte Ishihada-Sans feiste Pranke auf ihrer Schulter und unterdrückte nur
mühsam den Drang, sie sofort abzuschütteln. Stattdessen nahm sie ihren Cocktail
und saugte inbrünstig am Strohhalm.
Mittlerweile erfüllte ein
unsichtbarer Scheinwerfer den Nebel mit innerem Leuchten. Saïna glaubte darin
die schemenhaften Umrisse einer menschlichen Gestalt auszumachen. Im Raum war
es mittlerweile totenstill. Nur aus der Schleuse zum Nachbarzimmer, einer
smaragdgrünen Dschungellandschaft komplett mit exotischen Reptilien und Vögeln,
schwebten Fetzen von Musik und Gesprächen zu ihnen herüber.
Mit einem Mal spürte Saïna
deutlich eine kühle Brise auf der Haut. Erst da fiel ihr auf, wie warm und
stickig es bisher in dem Raum gewesen war. Von irgendwoher musste ein starker
Ventilator Luft auf die Bühne blasen, die den Nebel allmählich lichtete. Die
dunkle Gestalt in der Mitte gewann immer mehr an Kontur und …
Irgendetwas stimmte nicht.
Irgendetwas stimmte überhaupt
nicht.
Auf der Bühne stand …
Ein Mann.
Er war klein, fast schmal, hatte
straff gescheiteltes schwarzes Haar. Sein Körper steckte in einer Art dunkler
Kampfmontur aus diversen Segmenten, doch das Bemerkenswerteste an ihm waren
seine Hände und Füße: Sie sahen aus wie die Klauen eines Raubtiers.
Auch Ishihada-San und seine Leute
schienen mittlerweile Verdacht zu schöpfen, dass irgendetwas nicht mit rechten
Dingen zuging. Sie stießen sich gegenseitig an und wiesen auf den
geheimnisvollen Gast. Schlagartig ging die normale Beleuchtung wieder an und
nüchterte den schrägen Zauber aus, der bis hierher im Raum gehangen hatte. Die
Männer neben Saïna blinzelten verwundert. Der kleine Mann auf der Bühne
grinste. Seine stechenden Augen waren direkt auf ihre Nische gerichtet. Er hob
die Hand und legte einen Finger an den Mund. Wiederum machte sich atemloses
Schweigen im Saal breit.
»Einen guten Abend,
Ishihada-San.«
Der Angesprochene ließ ein
erstauntes Grunzen hören. Aus dem Augenwinkel heraus konnte Saïna sehen, wie
zwei seiner Männer unter ihre Jacketts griffen. Offensichtlich beschäftigte sie
ein ähnlicher Verdacht wie sie selbst. Radu saß wie angewurzelt und mit offenem
Mund auf ihrem Platz, zwischen zwei der Männer eingekeilt.
»Mein Name ist Todd Rygor. Ich
bin seit gestern neuer Supreme-Leveller im Dienst von Gouverneur Vanderbilt.«
Saïna kannte die Stimme. Sie
hatte sie schon einmal gehört. Im Krankenhaus, unter der Bahre mit ihrer toten
Freundin. Das war nicht gut, überhaupt nicht gut. Sie begann sich vorsichtig
nach Fluchtmöglichkeiten für sich und Radu umzusehen.
»Ich bin hier, um ein
Ungleichgewicht im Machtgefüge der Clans auszuräumen, der bedauerlicherweise
entstanden ist, als der Japan-Clan vor etwa einem Monat dem Latino-Clan eine
größere Ladung schwerer Waffen abjagte. Die Leveller haben beraten und sind zu
dem Schluss gekommen, dass dieses Ungleichgewicht nur durch die Vernichtung
Ihrer kompletten Gang ausgeglichen werden kann.«
Ishihada-San und seine Männer
schienen die Botschaft verstanden zu haben, denn sie alle waren bei seinen
letzten Worten aufgesprungen und hatten ihre Pistolen gezogen, die sie auf den
Mann auf der Bühne richteten. Für einen unheimlichen Moment herrschte
vollkommene Ruhe.
Dann brach die Hölle los!
Fast gleichzeitig begannen
sämtliche Waffen der Japaner Feuer und Blei zu spucken. Der Lärm war ohrenbetäubend.
Saïna war noch vor dem ersten Schuss instinktiv von der Bank und unter den
Tisch gerutscht.
Radu! Wo ist
Radu?
In dem Chaos konnte sie die Beine
ihrer Freundin nicht entdecken.
Im nächsten Moment wurde der
Tisch umgerissen, flog sogar zwei, drei Meter weit durch die Luft und schlug
hart zu Boden. Ein hässliches Geräusch direkt über ihr ließ Saïna hoch zur
Saaldecke sehen, wo sich ihr ein
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