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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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Ohr.
    Saïna musste kichern.
Ishihada-San, der nicht ein Wort verstanden hatte, fiel wieder in sein
grunzendes Lachen ein, das sofort von der Gruppe aufgenommen wurde. Von der Bar
bewegte sich einer der beiden Kellner, ein schlanker, ganz in Weiß gekleideter
Latino, auf sie zu, in der Hand ein Bündel Cocktail-Karten. Radu war die Erste,
die ihre Karte bekam, und sofort studierte sie mit Feuereifer ihre Optionen.
Dann kam Saïna an die Reihe.
    »Mein Name ist Antonio«, sagte
der junge Latino in verbindlichem Tonfall. »Ich bin für heute Abend Ihr
Kellner. Ich begrüße Sie im Namen des …«
    Er stockte für einen Moment, als
sein Blick auf Saïnas Dekolleté fiel. Dann zuckten seine Augen wieder nach
oben, und er brachte die Begrüßung stotternd zu Ende, so als hätte ihn der
schiere Anblick ihres Ausschnitts nachhaltig irritiert. Saïna, die es
mittlerweile gründlich satt hatte, dass man sie wie einen saftigen Schinken am
Fleischerhaken begutachtete, wollte gerade eine schnippische Bemerkung machen,
da durchfuhr sie ein Gedanke.
    Es ist das
Nazar. Vielleicht ist er der Kontaktmann.
    Fieberhaft überlegte sie, wie sie
sich vergewissern könnte, doch bevor ihr die richtigen Worte einfielen, war der
Mann schon hinter der Theke verschwunden.
    Nun, sie würde einfach warten
müssen, bis er wieder auftauchte. Doch geschätzte fünf Minuten später kam zu
ihrer Enttäuschung nicht er, sondern ein Kollege an ihren Tisch, ein kleiner
rothaariger Kerl mit Stupsnase. Er stellte sich als Sean vor und servierte die
Cocktails. Saïna grübelte. Sollte sie einfach zur Theke gehen? Aber wie konnte
sie sicher sein, dass Antonio – wenn er denn wirklich so hieß – der Richtige
war?
    Schließlich kam sie zu dem
Schluss, dass er, wenn er tatsächlich der Kontaktmann war, sicher einen Weg finden
würde, sich mit ihr in Verbindung zu setzen, falls er das nicht längst …
    Ich Idiot!
    Mit spitzen Fingern zog sie,
sodass es auch der neben ihr unablässig auf Japanisch plappernde Ishihada-San
nicht bemerkte, den Pappdeckel unter ihrem Cocktailglas hervor und drehte ihn
um.
    Tatsächlich.
    Dort fand sich eine kleine
handschriftliche Notiz.
    Suchst
du die andere Welt, dann triff dich mit mir an der Vanderbiltstatue im blauen
Raum um 10:00.
    A.
    Saïna erinnerte sich,
auf ihrem Weg durch die Bar auch durch einen Raum gekommen zu sein, der ganz in
Mitternachtsblau gehalten war und dessen Zentrum von einer lebensgroßen
Darstellung des Gouverneurs dominiert wurde. Am liebsten wäre sie sofort
aufgestanden und hingegangen. Aber zehn Uhr, das war erst in mehr als zwei Stunden.
Verstohlen blickte sie zur Bar herüber. Antonio schien völlig in seine Arbeit
vertieft. Stattdessen zwinkerte ihr sein rothaariger Kollege mit forschem
Grinsen zu. Saïna wandte einfach nur genervt den Blick ab. Warum hielt sich
hier eigentlich jeder Zweite für einen Flirtkönig?
    In diesem Moment wurde ihr
bewusst, dass sich Radu, die ihr gegenübersaß, zu ihr herüberbeugte und
offenbar bereits seit einiger Zeit auf sie einredete.
    »… irgendwas? Du bist ja so
still. Ishihada-San ist schon ganz besorgt.«
    Für einen Moment überlegte sie,
ob sie Radu in ihr Geheimnis einweihen und ihr die Botschaft zeigen sollte,
doch direkt vor den Augen ihrer Begleitung war ihr das zu riskant. Ohne dass
sie den Grund benennen konnte, erschien ihr die Suche nach dem Ordo Lucis nicht
wie etwas, das man jedem auf die Nase binden sollte.
    Nein, es half nun mal nichts. Für
die nächsten zwei Stunden musste sie die Füße stillhalten und den Abend so
unauffällig wie möglich hinter sich bringen. Sie wandte sich mit
zähneknirschendem Widerwillen ihrem Sitznachbarn zu. Ishihada-San redete mit
scheinbar unerschöpflichem Vergnügen in seinem eigenen Idiom auf sie ein, nicht
ohne sich den einen und anderen hungrigen Blick auf ihre Warenauslage zu
gönnen. Saïna machte gute Miene zum bösen Spiel und warf hin und wieder
irgendeine harmlose Bemerkung ein, die von Ishihada-San und seinen Männern
regelmäßig mit grunzendem Gelächter quittiert wurde; sie war davon überzeugt,
dass sie nicht mal die Hälfte von dem verstanden, was sie sagte.
    Dann wurde es plötzlich dunkel.
    Das heißt, das bis dahin helle
Licht wurde langsam von unsichtbarer Hand nach unten gedimmt, bis ein
Halbdämmer entstand, in dem alle Konturen zu einem unwirklichen Einheitsgrau
verschwammen. Gleichzeitig erstarben die Gespräche bis auf ein vereinzeltes
Flüstern hier und dort. Zu guter Letzt flammte

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