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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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Neben ihm
eine zerborstene Likörflasche. Sie ließ sich von Antonio durch den Dschungel
ins nächste Zimmer ziehen.
    Raum für Raum, Farbe für Farbe
tanzte an ihren Augen vorbei.
    Wo sind all
die anderen Gäste?
    Dann waren sie draußen. Doch er
zog sie weiter, bis in irgendeine kleine, dunkle Nebengasse. Erst dort blieben
sie stehen.
    Erschöpft lehnte sich Saïna gegen
eine Wand.
    »Geht es wieder?«, fragte der
Kellner.
    Die Sorge holte sie in die
Wirklichkeit zurück.
    Was ist mit …?
    »Radu?«
    »Die andere Frau?«
    Saïna nickte.
    »Als ich hinter die Theke
abgetaucht bin, war sie, glaube ich, noch da. Später hab ich sie nicht mehr gesehen.«
    »War sie unter den … den Toten?«,
fragte sie bang.
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich
weiß nicht. Ich glaube nicht, aber es war so ein Chaos da drinnen.«
    Der Mann zog ein Päckchen
Zigaretten aus seinem weißen, nach Rum und Schnaps und Whiskey stinkenden
Anzug, klopfte ein Stäbchen halb heraus und bot es ihr an. Schweigend rauchten
sie eine Weile, mit dem Rücken an der Wand hockend, den Blick in eine imaginäre
Ferne gerichtet.
    »Wie lange willst du schon raus?«
    Saïna brauchte eine Weile, um den
Sinn seiner Frage zu erfassen. Unwillkürlich griff sie nach dem Nazar.
    Er könnte
Lynns Mörder sein.
    Sie musste ihre nächsten Worte
sorgfältig wählen.
    »Hm … Seit einer Weile. Ich habe
immer das Gefühl gehabt, dass dort draußen mehr ist als Wüste und Hungernomaden.«
    »Woher hast du das
Erkennungszeichen?«, fragte er zwischen zwei Rauchwolken.
    »Eine Freundin hat es mir
gegeben, bevor sie nach draußen gegangen ist.«
    Er drehte den Kopf und sah sie
an. Aus den Augenwinkeln konnte sie das Misstrauen in seinen Augen erkennen.
Sie tat so, als hätte sie nichts bemerkt, und zog an ihrer Zigarette.
    Schließlich wandte er den Kopf
wieder und sah nach vorn. »Ich bin vom Ordo Lucis«, sagte er leichthin, als
handele es sich um einen Tavla-Verein. »Ich kann dich in die andere Welt bringen.«
    War der Doppelsinn in seinen
Worten Absicht? Hielt er sie etwa für ein naives, schlachtreifes Schäfchen?
    »Wie willst du das schaffen?«,
fragte sie so unschuldig wie möglich.
    Er grinste. »Das wirst du dann
schon erleben.«
    »Und was muss ich dafür tun?«
    »Warte. Ich schreib dir einen
Treffpunkt auf.« Er fingerte einen Kugelschreiber aus seiner Brusttasche und
kritzelte etwas auf das Zigarettenpäckchen. Dann drückte er es ihr in die Hand
und stand auf. »Du musst dort hingehen. Morgen Nacht um null Uhr. Komm allein.«
    Ohne noch ihre Antwort
abzuwarten, drehte er sich um und verschwand. Saïna sah ihm eine Weile
hinterher. Dann hob sie das Päckchen vor die Glut ihrer Zigarette. Dort stand
nur ein Wort. Sie blinzelte vor Verwunderung.
    Gouverneurspalast.
    Minutenlang starrte sie auf das
Wort, als könnte es sich noch verändern. Doch nichts dergleichen geschah.
Schließlich drückte sie ihre Zigarette an einem verrotteten Wasserrohr aus und
drückte sich in den Stand. Ihr Fußgelenk schmerzte bestialisch. Vorsichtig
humpelte sie eine Weile den Weg entlang, den auch der Kellner genommen hatte,
ohne eine Vorstellung, wohin er sie führen würde.
    Hauptsache weg
von der Bar.
    Ein Schlurfen. Hinter ihr.
    Sie erstarrte.
    »Saïna!«
    Sie fuhr herum. Im dämmrigen
Zwielicht der halb offenen Tür zu irgendeiner kleinen russischen Spelunke stand
eine kleine Gestalt mit zerrupften Engelslocken.
    Sie fielen sich in die Arme und
weinten, lange.
    Schließlich lösten sie sich
voneinander und schlugen gemeinsam den Weg nach Hause ein. Den schmalen
Schatten, der ihnen folgte, bemerkten sie nicht.

11
    Rygor rieb sich den
dröhnenden Schädel.
    Argh.
Verdammt.
    Etwas hatte ihm in die Hand
geschnitten. Mit zusammengebissenen Zähnen zog er einen weiteren Glassplitter
aus seiner Kopfhaut.
    »Jetzt hören Sie auf damit, und
lassen Sie mich das machen«, schnauzte die alte Vettel von Krankenschwester
verärgert.
    Sie trug eine Nierenschale mit
Pinzette, Tupfer und Jod herbei und begann ihm das restliche Glas aus dem
Schädel zu picken.
    »Sie haben ganz schön Glück
gehabt«, murmelte sie.
    »Tatsächlich? Komisch. Für mich
fühlt es sich eher wie das Gegenteil an.«
    »Sie hätten sich auch den Schädel
brechen können. Eine Gehirnerschütterung haben Sie mindestens.«
    »So, so.«
    Tatsächlich war der Zustand
seines Kopfes das Geringste seiner Probleme. Die Wirkung der Droge, die man ihm
verabreicht hatte, ließ inzwischen nach, und er konnte allmählich das

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