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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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er
darüber nach, ob es eine Falle war. Aber obwohl er Rygor jede Gemeinheit zutraute,
gab es keinen Grund, warum er ihn erst zur Flucht verleiten wollte, um ihn dann
zu killen, wo er ihn doch auch einfach in der Zelle töten lassen konnte. Nein.
Es musste irgendjemand anders gewesen sein. Irgendjemand, der in ihm noch einen
Freund sah. Oder einen Verbündeten. Oder ihn schlichtweg für etwas benutzen
wollte. Vielleicht einer von den Levellern.
    Die Übergabe kam ihm wieder in
den Sinn, und er beschloss, dass es nicht die Zeit für sinnlose Grübeleien war.
Vorsichtig öffnete er die Tür, bis er die gegenüberliegende Seite des hell
erleuchteten Gangs sehen konnte. Er schob den Kopf gerade soweit nach draußen,
dass er links und rechts in den Korridor spähen konnte.
    Nichts. Keine Bewegung. Kein
Geräusch.
    Torn schlüpfte durch die
Zellentür und huschte den Gang entlang bis zur Treppe, die nach oben in den Bürotrakt
des Polizeigebäudes führte. Niemand begegnete ihm auf seinem Weg. Nur eine alte
Wanduhr in ebenjenem Flur, von dem auch sein altes Büro abging, tickte stoisch
die Sekunden herunter. Sie zeigte halb elf.

12
    Torn warf einen Blick
auf das Display des kleinen Navigationssystems, das er bei einem stadtbekannten
Hehler in Turkania für sein letztes Geld erstanden hatte. Er war mit einer
Abweichung von höchstens zehn Metern im Zielgebiet angekommen. Die Stelle hatte
sich als die unterste Etage eines alten, verlassenen Warenhauses entpuppt.
Nachdem er die schlichte Versiegelung der Eingangstür geknackt hatte, war er
durch endlose Reihen leerer Regale geschritten, die nur noch Schutt und Spinnen
beherbergten. Seine Schleimhäute juckten von der staubtrockenen Luft.
    Neugierig ließ er den Lichtkegel
seiner Taschenlampe umherwandern. Er hatte die Verkaufsfläche hinter sich
verlassen. Rechts von ihm befand sich eine verrottete Sitzgruppe nebst ein paar
mumifizierten mannshohen Gummibäumen, links war ein kleines ovales Becken
gemauert, vermutlich ein Springbrunnen. Es war voller Schutt. Ein paar Meter
vor sich sah er die Tür eines großen Fahrstuhls.
    Zu beiden Seiten des Fahrstuhls
führten alte Rolltreppen zu den oberen Stockwerken. Irgendjemand hatte die
Stufen entfernt und die Treppen dadurch in skelettierte Rutschbahnen
verwandelt. Hoch über Torn hing ein schwerer Radlüster von mindestens zwei
Metern Durchmesser. Beleuchtet musste er einmal recht imposant gewesen sein.
    Torn warf einen Blick auf die
Zeitanzeige des Navigationssystems: 22:55. Noch fünf Minuten. Unwahrscheinlich,
dass man ihn hier überraschen könnte; er würde jeden anderen schon von Weitem
kommen hören.
    Vorsichtig ging er hinüber zu der
Sitzgruppe, prüfte eines der Polster und ließ sich dann nieder. Links und
rechts neben ihm huschte Ungeziefer davon. Er schaltete seine Lampe aus, um die
Batterien zu schonen.
    Guter Ort für
Heimlichkeiten.
    Nun blieb ihm nichts als
abzuwarten.
    Doch wie würde er erkennen, ob es
sich um sein Kind handelte, das man hier übergeben wollte? Und wie sollte er
die Übergabe verhindern? Mit wie vielen Gegnern würde er es zu tun bekommen?
Würden sie bewaffnet sein? Ihm jedenfalls hatte man all seine Waffen
abgenommen, und das Bargeld, das er sich aus seiner Wohnung geholt hatte, hatte
für Ersatz nicht mehr ausgereicht. Er würde sich also auf seinen
Einfallsreichtum und seine Geschicklichkeit verlassen müssen, beziehungsweise
auf das, was chronische Erschöpfung und Mangelernährung davon übrig gelassen
hatten.
    Ein leises Quietschen erregte
seine Aufmerksamkeit.
    Er lauschte in die Dunkelheit.
    Schritte.
    Ein ferner Lichtschimmer bewegte
sich unverkennbar auf ihn zu.
    Es war an der Zeit, den
Präsentierteller, auf dem er saß, zu verlassen und sich ein Versteck zu suchen.
Doch die Schritte waren bereits zu nah, um noch unbemerkt die Taschenlampe
einzuschalten. Er steckte sie in seine Beintasche. Dann erhob er sich leise und
versuchte, sich seine Umgebung in Erinnerung zu rufen. Ungefähr fünf Meter vor
ihm sollten die Regalreihen beginnen, die jenen Mittelgang säumten, der direkt
zum Fahrstuhl und zu den Rolltreppen führte. Er schlüpfte aus seinen Schuhen,
nahm sie in die Hand und schlich in jene Richtung, wo er die Regale vermutete.
    Mittlerweile war der Lichtkegel
der Taschenlampe des Ankömmlings ebenso deutlich wahrzunehmen wie seine hallenden
Schritte. Torn verfluchte seine eigene Tollkühnheit und das Schneckentempo, in
dem er sich nun mangels Sicht fortbewegen musste, um nicht

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