Asylon
mit brachialer
Gewalt aufgebrochen. Er ging in die Hocke. Wie er’s sich gedacht hatte: Beide
Festplatten fehlten.
Unter diesen Umständen war es
schwer vorstellbar, dass Grosse Selbstmord begangen hatte. Schon der Einschusswinkel
in seinem Schädel sprach dagegen.
Dann sah er die Pistole, die
neben Grosses Füßen lag. Ein Schalldämpfer verlängerte den Lauf. Torn schaute
sich nach irgendetwas um, das er als Behälter zur Aufbewahrung nutzen konnte,
damit er keine Fingerabdrücke verwischte, aber das Chaos in dem Büro
verweigerte sich seiner Suche. Er packte die Waffe mit zwei Fingern am
Schalldämpfer und ließ sie in die Tasche seines Trenchcoats gleiten. Dann
gönnte er dem Zimmer einen letzten Rundblick, in der Hoffnung auf irgendeine
nützliche Idee, irgendetwas, was ihm noch weiterhelfen könnte. Nichts.
Er schaltete das Licht aus und
öffnete vorsichtig die Tür. Kein Laut auf dem Korridor. Dieser Teil des St.
Niclas schien kaum bevölkert zu sein.
Er trat hinaus in den Gang und
wartete darauf, dass sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten.
Eine Bewegung hinter ihm ließ ihm
das Blut in den Adern gefrieren.
»Seht ihr, ich hab doch gesagt,
er wird noch mal zurückkommen«, sagte eine Torn nur allzu bekannte Stimme. »Hat
in der Panik die Tatwaffe vergessen und will sie jetzt holen.«
Torn wirbelte herum. Gleichzeitig
flammte die Deckenbeleuchtung des Korridors flackernd auf, und er sah Rygor und
eine bunt gemischte Truppe aus Polizisten und Levellern, die ein ebenso bunt
gemischtes Sammelsurium aus Pistolen und Gewehren auf ihn gerichtet hatten.
Vanderbilt hatte die Wahrheit gesagt: Rygor hatte den Posten eingenommen, um
den zu erhalten er selbst so hart gearbeitet hatte.
Als könne er seine Gedanken
lesen, verzogen sich die Züge seines alten Intimfeindes zu einem breiten
Lächeln. »Torn Gaser«, sagte er in amtlichem Tonfall. »Ich nehme Sie hiermit
fest wegen Mordes an Dr. Michael Grosse, dem Leiter des St. Niclas. Ergreift
ihn, Männer, und durchsucht ihn nach Waffen.«
Torn spürte kaum, wie zwei der
Cops seine Arme packten, sie ihm auf den Rücken drehten und ihm Handschellen anlegten.
Das Schwein
hat gesiegt, war alles, was er denken konnte.
Die Zelle war etwa drei
mal sechs Meter groß. Wände aus nacktem Beton. Die ganze Einrichtung bestand
aus einem Betonblock mit einer Schaumgummimatratze, der als Schlafstätte
diente, und einer stählernen Kombination aus Toilette und Waschbecken, die
seitlich davon aus der Wand ragte. Der Zugang wurde durch eine dicke, grau gestrichene
Stahltür verschlossen. Die einzige Lichtquelle stellte eine Neonröhre dar, die
hinter einem Metallgitter in eine Nische in der Decke angebracht war. Seit man
Torn hergebracht hatte, brannte das Licht ununterbrochen.
Mittlerweile hatte er das Gefühl
dafür verloren, wie lange er schon in diesem Loch hockte. Seine Uhr hatte man
ihm wie alles andere bei seiner Einlieferung abgenommen. Eine Weile hatte er
versucht, die vergehenden Stunden abzuschätzen, aber dann war er in einen
unruhigen Schlummer gefallen, und als er aufwachte, hatte er keine Ahnung, wie
lange er schon in der Zelle war. Niemand hatte während dieser Zeit irgendetwas
gebracht oder auch nur nach ihm gesehen.
Hin und wieder hatte er sich
eingebildet, irgendjemand würde vor die Zellentür treten und ihn durch den
kleinen Sichtschlitz beobachten, der in deren Stahl auf Augenhöhe eingelassen
war. Aber das Sicherheitsglas, das den Schlitz ausfüllte, war auf seiner Seite
verspiegelt.
Er lag auf der dünnen Matratze,
in seine dunklen Gedanken versunken. Mit jeder weiteren Minute, die verstrich,
sank seine Hoffnung, rechtzeitig zum Ort der Übergabe zu gelangen, falls diese
nicht schon längst stattgefunden hatte. Wenn er daran dachte, überkam ihn
düsterste Hoffnungslosigkeit. Es war, als sei er verdammt, zuzuwarten, während
Yvette ein zweites Mal ermordet wurde, und dass sie einem Mord zum Opfer
gefallen war, daran konnte es wohl kaum noch einen Zweifel geben. Das Einzige,
was ihm noch ein wenig Genugtuung bereiten konnte, war, dass Grosse als einer
der mutmaßlich Verantwortlichen seine gerechte Strafe erhalten hatte.
Aber Rygor lief frei dort draußen
herum und durfte sich auch noch darüber freuen, Torn endgültig aus dem Weg
geräumt zu haben. Wenn es ihm gefiel, konnte er ihn für immer in diesem Loch
verrotten lassen. Als Leveller hätte Torn einen Anspruch auf ein Verfahren vor
den Clanchefs gehabt, als quasi Geächteter interessierte
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