Asylon
schlagenden Beweis dafür zu finden, dass jemand
anderes Emilianos Tod verschuldet hatte. Und er war bereits dabei, sein
Versprechen zu brechen, sich umgehend und ausschließlich dieser Angelegenheit
zu widmen. Andererseits war ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen, was ihm Saïna
über die Datei im Krankenhaus und die nächste »Übergabe« erzählt hatte, die
laut dortigem Eintrag »am 28. Juni um 23.00 Uhr« stattfinden sollte und ein
Kind einer »Mrs. G.« betraf. Das war in weniger als zwanzig Stunden.
Was, wenn es wirklich sein Kind
war? Er musste sich Gewissheit verschaffen.
Vielleicht gab es sogar noch eine
Möglichkeit, die Übergabe zu verhindern, wenn es ihm nur gelang, den Klinikleiter
Grosse, der offensichtlich in der ganzen Sache mit drinhing, zur Rede zu
stellen.
Doch dafür musste er eben sein
Versprechen Sputano gegenüber brechen.
Aber das war ihm egal. Er hätte ohnehin
nicht gewusst, wo und nach was er suchen sollte. Es war nur ein Bluff gewesen,
ein Versuch, sich die Zeit zu verschaffen, um die einzige Frage in seinem Leben
zu klären, die noch von Bedeutung war. Scheiterte er, sollten sie ihn eben
umbringen. Und wenn nicht … Nun ja, vielleicht gab es wirklich irgendetwas dort
draußen, hinter der Grenze. Eine Art Zuflucht oder was auch immer.
Vorsichtig bog er um die Ecke auf
den breiteren Hauptgang, der direkt vor den Eingang des Krankenhauses führte.
Wasser tropfte aus einem maroden Rohr an der Decke und auf seine Schulter. Dem
Geruch nach konnte es sich kaum um Frischwasser handeln. Torn trat eilig weiter
vor, um seine Klamotten nicht völlig zu ruinieren, und drückte die breite
Schwingtür des Krankenhauseingangs auf. Die Aufnahme war ein großer Raum, der
von einer Theke in den Wartebereich für Normalsterbliche und eine für das
Personal vorgesehene Hälfte aufgeteilt wurde. Die schäbigen Stuhlreihen im
Wartebereich hatten sich bereits mit Menschen gefüllt. Hier und dort sah er provisorisch
versorgte Verletzungen. Torn schritt an den Wartenden vorbei und auf die
pummelige dunkelhäutige Schwester zu, die die Neuankömmlinge registrierte und
den Zugang zu den Stationen kontrollierte. Ein müder Blick traf ihn aus Augen,
unter die lange Jahre des Missmuts dunkle Ringe gegraben hatten.
»Sie wünschen?«, fragte sie
mürrisch.
»Ich muss zu Dr. Grosse«,
antwortete er.
Sie musterte ihn einige Sekunden
lang mit unverhohlenem Misstrauen.
»Und warum?«, fragte sie
schließlich.
»Es ist was Geschäftliches«,
antwortete Torn. Es klang wirklich ausgesucht dämlich, aber etwas Besseres
wollte ihm nicht einfallen. Er zwang einen Ausdruck auf sein Gesicht, von dem
er hoffte, dass er freundlich oder wenigstens neutral wirkte.
Wieder musterte sie ihn wie ein
Insekt, das soeben darum gebeten hatte, sich an dem Donut zu vergreifen, der
halb gegessen vor ihr auf der Theke lag. »Okay«, sagte sie schließlich. »Zimmer
2016 im dritten Stock. Nehmen Sie die Treppe hinter der nächsten Tür.« Dann
wandte sie sich wieder dem Kreuzworträtsel zu, das halb gelöst neben dem Donut
auf der Theke lag.
Torn war überrascht, dennoch
machte er sich auf den Weg.
Einige Minuten später stand er
vor Grosses Büro. Den Namen des Mannes geschrieben zu sehen, der möglicherweise
in Yvettes Tod verwickelt war, verursachte ein deutliches Grummeln in seinem
Bauch. Er mahnte sich selbst zur Ruhe. Dann klopfte er gegen die
Milchglasscheibe, die in ihrem Rahmen schepperte. Keine Antwort. Er drückte die
Klinke nach unten. Die Tür war unverschlossen. Er stieß sie auf und trat ein.
Was er dort zu sehen bekam,
drehte ihm den Magen um. Instinktiv schloss er die Tür hinter sich und
schaltete das Deckenlicht an.
Grosse saß auf seinem
Schreibtischstuhl, vornüber gesackt, sodass der Kopf auf der Tastatur seines
Rechners lag. Eine Kugel war seitlich in seinen Hinterkopf eingedrungen und
hatte beim Austritt auf der anderen Seite ein großes Stück des Schädels
mitgerissen. Die Bücher des Regals an der gegenüberliegenden Wand mussten förmlich
vor Blut und Hirn getrieft haben. Inzwischen war alles nur noch eine widerliche
dunkle Kruste. Torn berührte die Leiche vorsichtig an der Schulter. Der Körper
war noch komplett starr. Das hieß, dass der Tod irgendwann in einem Zeitraum
zwischen zwölf bis höchstens achtundvierzig Stunden eingetreten war. Wie auch
immer, der Kerl würde keine Fragen mehr beantworten.
Sein Blick fiel auf den Rechner
neben dem Schreibtisch. Jemand hatte das Gehäuse des Computers
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