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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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sein weiteres
Schicksal niemanden. Selbst wenn Rygor eines Tages in seine Zelle kommen würde,
um ihm endgültig auszuschalten, würde kein Hahn danach krähen.
    Wieder hatte er das unbestimmte
Gefühl, beobachtet zu werden. Diesmal packte ihn heiße Wut, sodass er von der
Matratze sprang und schreiend gegen die Tür hämmerte, bis die Haut an seinen
Handballen und Knöcheln aufplatzte. Dann sank er erschöpft an der Tür zu Boden
und blieb dort hocken. Nach einer Weile verschwamm das Grau des Betons zu einem
gleichmäßigen Brei, von dem sich nur noch die Matratze und das Stahlklo
abhoben, als befände er sich in einer seltsamen konturlosen Blase. Im grellweißen
Licht der Neonröhre schien das Grau heller und heller zu werden.
    Ich sehe mich
um. Der Raum ist klein. Ein winziger, fensterloser Kubus. Völlig weiß. Eine
seltsame Kraft zerrt an uns allen, als würde sich das Ding bewegen. Ich selbst
kann mich nicht rühren. Irgendetwas schließt mich rundherum ein. Aber was? Ich
kann auch den Kopf nicht drehen. An der Wand gegenüber stecken zwei Kerle
jeweils in einer Art großem Kokon, der den ganzen Körper umgibt. Ich kenne die
beiden. Der eine ist Gouverneur Vanderbilt, der andere ist Scooter, mein toter
Assistent. So, wie es sich anfühlt, stecke ich auch in so einem Ding.
    »Können Sie
mir sagen, wie alt Sie sind?«
    Es ist Saïna,
die Hausmeisterin. Statt ihres Monteuroveralls trägt sie einen weißen
Arztkittel. Sie klebt ein Pflaster auf die Wunde, die die Injektionsspritze in
meiner Armbeuge hinterlassen hat. Was will sie nur von mir? Wer ich bin? Ist
doch klar.
    Ich bin …
    Ich …
    O mein Gott …
    Er öffnete die Augen.
    Habe ich
wieder geschrien?
    Er lag auf dem Boden der Zelle.
Seine Glieder schmerzten. Die Zelle war dunkel. War es Nacht? Hatte man das
Licht überall gelöscht, damit die Häftlinge schlafen konnten? Ihm wurde
bewusst, dass er seit mindestens vierundzwanzig Stunden weder gegessen noch
getrunken hatte. In der Dunkelheit tastete er sich zu dem Waschbecken und
drehte den Hahn auf. Ein dünnes Rinnsal sickerte in das Becken und versiegte
sogleich. Der Abzug der Toilette zeitigte ein ähnliches Ergebnis.
Offensichtlich hatte man alles abgedreht.
    Verdursten. War das das
Schicksal, dass Rygor für ihn vorgesehen hatte? Unwillkürlich musste er
schlucken, wollte schlucken, doch es ging nicht, da
war kein Speichel mehr; seine Kehle fühlte sich bereits an wie Sandpapier. Er
kroch hinüber zur Matratze und legte sich darauf. In seiner Vorstellung begann
sich der Raum um ihn herum zu drehen. Er legte eine Hand auf die Wand, um seiner
Fantasie Einhalt zu gebieten, bevor ihm schwindlig wurde.
    Ein Kratzen.
    Er setzte sich auf, horchte
angestrengt in die Dunkelheit. Doch das Geräusch wiederholte sich nicht. Hatte
es überhaupt ein Geräusch gegeben? Vielleicht spielte auch sein Gehör allmählich
verrückt. Er versetzte sich selbst eine Ohrfeige, um sich aus der Traumwelt zu
reißen, die die undurchdringliche Finsternis nach einer Weile unweigerlich
erzeugte.
    Dann sah er das Licht. Es war
eigentlich kein richtiges Licht. Mehr eine Art Aura oder schwacher Schimmer,
die die Stelle umgab, wo er in der Dunkelheit die Zellentür vermutete. Eine
Weile lang starrte er auf die Erscheinung, in der Erwartung, sie würde sich als
weitere Fantasie entpuppen und von einer Sekunde auf die andere verschwinden, doch
sie blieb. Schließlich verließ er die Matratze und ging darauf zu.
    Je näher er der Tür kam, desto
deutlicher wurde das Phänomen. Ein so fahles Leuchten, dass jede andere
Lichtquelle, so schwach sie auch gewesen wäre, es wahrscheinlich gänzlich hätte
verblassen lassen. Aber in der absoluten Dunkelheit war es wie eine Art dunkler
Heiligenschein.
    War es irgendetwas an der Tür? Er
tastete den Stahl entlang, konnte aber keine Besonderheit ausmachen. Dann ließ
er die Finger über die wulstige Stahlkante gleiten, die die Tür rundherum
begrenzte, fasste dahinter und …
    Die Tür bewegte sich!
    Torn hielt den Atem an.
    Träume ich
wieder?
    Er kniff sich in den Unterarm.
Dann grub er seine Finger vorsichtig in den entstandenen Spalt und zog die Tür
ein wenig weiter auf. Kein Zweifel, sie war offen.
    War sie das
schon immer? Unmöglich.
    Schließlich konnte er sich noch
an das Geräusch des Schlüssels erinnern, als man sie hinter ihm verriegelt
hatte. Irgendwer musste sie seitdem wieder aufgeschlossen haben.
Wahrscheinlich, während er geschlafen hatte.
    Aber warum?
    Einen Moment lang dachte

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