Aszendent Liebe: Roman (German Edition)
mich nach ziemlich viel. Als ich an der Reihe war, trat ich vor und verlangte fünfundzwanzig Gramm Truthahnbrust. Die Angestellte zog eine Augenbraue hoch und fragte, ob ich mir sicher sei. Ich hörte einen anderen Kunden kichern. Ich wollte auf gar keinen Fall zugeben, dass ich keine Ahnung hatte.
Ich versuchte, wie eine gereizte Kundin auszusehen, die es nicht gewohnt war, von jemandem mit Haarnetz Fragen gestellt zu bekommen. Die Angestellte zuckte mit den Schultern, nahm mit ihrer Plastikzange eine Scheibe Truthahnbrust vom Stapel und legte sie auf das Wachspapier auf der Waage. Sie sah darauf, hob die Scheibe noch einmal hoch und halbierte sie. Dann wog sie sie noch einmal, wickelte sie sorgfältig ein und reichte sie mir über die Theke, dabei fragte sie, ob ich noch etwas brauchte. Ich schlich nach Hause und druckte auf einem Computer eine Umrechnungstabelle aus, die ich drei Jahre lang ständig mit mir herumtrug.
Schließlich wurde Vancouver von einem exotischen Ort zu meiner Heimat. Ich kenne mich jetzt in dem verwirrenden Durcheinander von Einbahnstraßen aus. Ich weiß, wo es das beste Sushi gibt, wo Thaipaprika, hausgemachte Cranberry-Scones und tollen, handgearbeiteten Schmuck. Ich habe angefangen »eh« zu sagen wie die Einheimischen. Manchmal fühle ich mich wie eine Undercoveragentin, denn niemand, der mich zum ersten Mal sieht oder trifft, würde darauf kommen, dass ich nicht in Vancouver geboren wurde. Niemand scheint zu sehen, dass ich nicht ganz hierhergehöre. Zumindest glaube ich das. Außerdem, wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich mich noch nie in meinem Leben so gefühlt, dass ich völlig irgendwohin gehöre, warum sollte ich mir also jetzt darüber Gedanken machen?
Jane und Jeremy schienen sich keinerlei Gedanken darüber zu machen, ob sie hierhergehören. Sie haben ihre Kinder hier bekommen, was sie, rein technisch gesehen wohl zu einem Teil zu Kanadiern macht. Jane verwandelte sich von einem Martini trinkenden Partygirl zu jemandem, der gerade einem Land’s-End-Katalog entsprungen zu sein schien. Sie hat zwei Kinder, kennt Gutenachtgeschichten auswendig und kocht Suppe ohne Rezept. Was noch nerviger ist: Sie und Jeremy sind das perfekte Paar. Er bringt ihr jeden Donnerstag Blumen, und freitags holen sie einen Babysitter, um einen Abend zu zweit zu verbringen. Jane hat den Stoffwechsel eines Wiesels und kann essen, was sie will. Vor ein paar Jahren hat sie mit Boxtraining angefangen und hat jetzt Armmuskeln wie eine dieser weiblichen Actionheldinnen. Sie hat vor Jahren mit dem Rauchen aufgehört und ist jetzt nervig frei von ärgerlichen Gewohnheiten. Ich würde sie hassen, wäre sie nicht meine beste Freundin auf der ganzen Welt.
Sie und ich knabbern Ethans Cheerios, während er sich ganz darauf konzentriert, sich Traubenhälften in die Haare zu schmieren. Ich weiß, dass sie hören will, dass ich Doug gesagt habe, er solle seinen Kram abholen.
»Nein, ich will nichts überstürzen. Ich glaube, wenn diese aufgeblasene Busenfaszination verschwindet, wird er wieder zurückkommen wollen«, verkünde ich und werfe dabei Cheerios in die Luft und fange sie mit dem Mund auf.
»Findest du, dass es eine gute Idee ist, darauf zu bauen?«
»Na ja, ich habe jedenfalls nicht vor, einfach aufzugeben. Weißt du, wie lange wir zusammen waren?« Ich mache eine dramatische Pause. » Ewig , so lange. Du kennst Doug doch, er hasst Veränderungen. Erinnerst du dich, wie lange er gezögert hat, bis wir zusammengezogen sind?«
»Das meine ich ja. Doug hatte immer Angst vor einer Beziehung. Vielleicht ist es an der Zeit weiterzugehen.«
»Einfacher gesagt als getan. Es ist hässlich da draußen. Ich bin einunddreißig Jahre alt. Wenn ich noch einmal von vorn anfangen muss, mich verabreden, die Verlierer aussortieren, mich entscheiden und jemand anderes suchen, dann schaffe ich das nie. Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie lange es dauern würde, jemanden zu finden, den ich mag, und dann eine neue Beziehung zu beginnen? Da kann ich doch gleich sagen, ich werde mich niemals binden. Noch einmal von vorn anzufangen, das ist dasselbe wie aufzugeben, und ich gebe nicht schnell auf. Doug und ich passen perfekt zueinander. Er ist bloß durchein... nervös eben.« Ich sehe sie vorsichtig an, und mir fällt plötzlich auf, dass es fast immer um Doug ging, wenn Jane und ich uns während der letzten Jahre gestritten haben. »Du findest nicht, dass Doug und ich zusammengehören, oder?«
Sie verdreht die Augen.
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