@ E.R.O.S.
unser Raubtier nur auf noch grünere Auen schicken würden, würde EROS abgeschaltet – oder zumindest auf andere. Ich gestehe Lenz zu, er hat begriffen, daß die digitalen Felder des Herrn ziemlich weitläufig sind und unsere Bestie in diesem Spiel sich gut auf ihnen auskennt.
Segue: Während ich das hier schreibe, fällt mir ein bißchen
Emerson aus der High School ein.
Wenn der Rote Schlächter zu schlachten meint
Oder der Ermordete, er sei ermordet worden
Kennen Sie schlecht die Wege unvereint.
Ich dreh’ mich um und gehe weiter morden.
Aus »Brahma«, glaube ich. Wenn ich darüber nachdenke, werde ich den Mörder von jetzt an Brahma nennen. Bei »Strobekker« denke ich immer an einen Bewohner Minnesotas schwedischer Abstammung mit teigigem Gesicht, der mit demselben Messer tötet, das er während der Nachtschicht im Schlachthaus benutzt.
Ich glaube, Lenz hat vor, Brahma in den Untergang zu locken, indem er irgendwie unser Network manipuliert. Die Polizei führt das Naheliegende an: Jede Minute, die EROS noch in Betrieb ist, sind weitere Frauen in Gefahr. Aber Lenz hat deine Ausdrucke genau gelesen und klug genutzt. Er weist darauf hin, daß Brahma nicht nur online einen deutlich erkennbaren Prosastil hat, sondern seine Nachrichten während fünfundachtzig Prozent seiner Gespräche mit den Opfern fehlerfrei sind, jedoch von Fehlern nur so wimmeln, sobald der Zeitpunkt der Morde näherrückt. Lenz weiß nicht, woran das liegt, und deshalb habe ich mich entschlossen,ihm einen Knochen hinzuwerfen. Ich bin der Ansicht, daß Brahma eine moderne Spracherkennungssoftware benutzt, die es ihm ermöglicht, seine Wörter einfach zu sprechen, statt sie über die Tastatur einzugeben. Vielleicht arbeitet er für eine Computerfirma und hat Zugang zu einem Prototyp. So eine Einheit ist wohl kaum transportabel, und wegen der Funktionsstörungen, die bei Handys nun mal auftreten, wird er sie wohl kaum fernbedient benutzen. Wenn er mit seiner Show also auf Tour geht, muß er tippen wie alle anderen auch.
Auf jeden Fall hat Lenz kapiert, daß das FBI diese »Fehlerhäufung« als Frühwarnung benutzen kann, um herauszufinden, wann Brahma sich wieder auf den Weg macht und Frauen in unmittelbarer Gefahr sind. Er weist auch darauf hin, daß außer Karin Wheat bislang nur Frauen ermordet wurden, die anonym abbuchen ließen. Diese Gruppe stellt einen bedeutenden, aber trotzdem überschaubaren Anteil von zirka dreiundzwanzig Prozent unserer weiblichen Abonnenten dar. Fünfhundertachtundsiebzig Frauen.
Lenz führt des weiteren aus, daß dem FBI mehr Zeit zur Verfügung steht, Brahma über die Telefonleitungen aufzuspüren, wenn man ihm erlaubt, EROS auch weiterhin zu benutzen. Agent Baxter hat sowohl Jan als auch mir versichert, daß es sich dabei höchstens um eine Sache von ein oder zwei Tagen handeln wird. Die örtlichen Polizeibehörden scheinen viel Vertrauen in dieses Argument zu haben und werden wahrscheinlich nachgeben. Die Panik der Bürokraten gibt stets der Aussicht auf eine schnelle Lösung nach. Aber ich teile Baxters Vertrauen in die Telefonstrategie nicht. Brahma bringt schon seit einiger Zeit Frauen um. Er war vorausschauend genug, einen Mann zu töten, um sich seine Online-Identität zu verschaffen. Bestimmt ist ihm klar, daß der Tag kommen würde, da die Polizei versucht, ihn über das Telefon in seinem Schlupfwinkel aufzuspüren. N’est-ce pas?
Ich habe auch ein paar Theorien über Brahmas Modusoperandi aufgestellt, ziehe es aber vor, sie Lenz zu diesem Zeitpunkt nicht mitzuteilen. Vielleicht kommt eine Zeit, da ich irgend etwas im Ärmel haben muß, um einen Handel mit diesem Mann machen zu können.
Ciao.
Es ist unglaublich störend, zuhören zu müssen, wie Miles’ großspuriger E-mail-Stil von einer geistlosen Androidenstimme wiedergegeben wird. Doch sogar durch das insektenhafte Dröhnen hindurch höre ich eins deutlich heraus: Miles Turner hat seinen Spaß.
Seine zweite Nachricht ist viel kürzer:
Der Strobekker-Account wurde um 19:42 Uhr unter dem Pseudonym »Shiva« aktiv. Baxters Techniker haben den Anruf von unsrem Büro aus durch ein paar Internetknoten im Mittelwesten nach New Jersey zurückverfolgt, dann über einen transatlantischen Satelliten nach London und wieder zurück nach New Jersey. Als sie wieder dort waren, stieg er aus. Sie ziehen alle Register und sind schneller, als ich es für möglich hielt, aber sie wissen nicht viel mehr als am Anfang. Hier herrscht eine
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