Atemschaukel
Waggon enthält Walnüsse, Haselnüsse, Maiskörner und Erbsen. Die fünf Klappen öffnen sich leicht, man schlägt sie sozusagen mit dem Handschuh auf, und es klappt. Fünfmal rauscht die Hasoweh, locker, schiefergrau, nur sie selbst, ohne Taubgestein. Man schaut zu und denkt dabei: Die Hasoweh hat ein weiches Herz. Die Hasoweh ist abgeladen, das Gitter so leer, als wäre nichtsdurchgelaufen. Wir stehen oben auf dem Gitter. Unten, im Bauch der Jama muss es Bergketten und Schluchten aus Kohle geben. Hier hat auch die Hasoweh ihr Depot.
Auch im Kopf ist ein Depot. Über der Jama zittert die Sommerluft wie zu Hause, und der Himmel ist seidig wie zu Hause. Aber zu Hause weiß niemand, dass ich noch lebe. Zu Hause isst jetzt der Großvater kalten Gurkensalat auf der Veranda und glaubt, ich bin tot. Und die Großmutter lockt die Hühner mit Gluckslauten in den zimmergroßen Schatten neben den Schuppen, streut ihnen das Futter und glaubt, ich bin tot. Und die Mutter und der Vater sind vielleicht auf der Wench. Die Mutter liegt im selbstgenähten Matrosenanzug mitten auf der Bergwiese im hohen Gras und glaubt, ich bin schon im Himmel. Und ich kann sie nicht schütteln und sagen: Hast du mich gern, ich leb ja noch. Und der Vater sitzt in der Küche am Tisch und füllt in die Patronen langsam das Schrot, die gehärteten Bleikügelchen für die Hasenjagd im nahen Herbst. Hasoweh.
Wie sich die Sekunden ziehen
Ich war auf der Jagd.
Kobelian war weg, und ich habe in der Steppe, im zweiten nahen Herbst, mit meiner Schaufel einen Erdhund erschlagen. Kurz gepfiffen hat er wie die Eisenbahn. Wie sich die Sekunden ziehen, wenn die Stirn über der Schnauze schräg gespalten ist. Hasoweh.
Ich wollte ihn essen.
Hier gibt es nur Gras. Und mit Gras kann man nichts festnageln, und mit der Schaufel kann man nichts häuten. Ich hab nicht das Werkzeug gehabt und auch nicht das Herz.
Auch nicht die Zeit, Kobelian war wieder zurück, und er hat es gesehen. Da ließ ich ihn genauso liegen, wie sich die Sekunden ziehen, wenn die Stirn über der Schnauze schräg gespalten ist. Hasoweh.
Vater, einmal hast du mir beibringen wollen, wie man zurückpfeift, wenn jemand sich verirrt.
Vom gelben Sand
Gelber Sand kann von wasserstoffblond bis kanarienvogelgelb alle Schattierungen haben, sogar einen Stich ins Rosé. Er ist zart, es tut einem leid, wenn er in den grauen Zement gerührt wird.
Kobelian machte mit Karli Halmen und mir am späten Abend wieder mal eine Privatfuhre mit gelbem Sand. Er sagte diesmal: Wir fahren zu mir nach Hause. Ich baue nichts, aber es kommt ja der Feiertag, schließlich hat man Kultur.
Karli Halmen und ich verstanden, gelber Sand ist Kultur. Gelber Sand wurde nach dem Frühjahrs- und Herbstputz auch im Lagerhof und in der Fabrik als Verzierung auf die Gehwege gestreut. Er war der Frühjahrsschmuck für das Kriegsende und der Herbstschmuck für die Oktoberrevolution. Am 9. Mai jährte sich zum ersten Mal der Frieden. Und er hatte uns schon wieder nichts genützt, für uns war es das zweite Lagerjahr. Und der Oktober kam. Der Frühjahrsschmuck aus gelbem Sand war längst vom Wind der dürren Tage weggeweht und von den Regengüssen weggespült. Jetzt lag der frische gelbe Sand als Herbstschmuck wie Kristallzucker im Lagerhof. Schönheitssand für den großen Oktober, aber ein Anzeichen, dass wir nach Hause dürfen, war er nicht.
Unsere Fuhren wurden auch nicht wegen der Schönheit gemacht. Wir holten tonnenweise gelben Sand, die Baustellen fraßen ihn. Die Sandgrube hieß CARJERA. Sie warunerschöpflich, mindestens 300 Meter lang und 20 bis 30 Meter tief, überall nur Sand. Eine Arena aus Sand in einem Tagebau aus Sand. Die ganze Gegend konnte sich bedienen. Und je mehr Sand geholt wurde, desto höher wurde die Arena, desto tiefer fraß sie sich in den Boden.
Wenn man chitrij, schlau, war, dirigierte man das Auto ganz in den Sandhang hinein, so dass man nicht aufwärts schaufeln musste, sondern lässig auf gleicher Höhe, oder sogar bequem hinunterschippen konnte.
Die Carjera war betörend wie der Abdruck von einem großen Zeh. Purer Sand, kein Krümel Erde dazwischen. Gradlinige, waagrechte Schichtungen, wachsweiß, hautblass, fahlgelb, grellgelb, ocker und rosé übereinander. Kühl und feucht. Der Sand wurde flockig beim Schaufeln, trocknete beim Fliegen in der Luft. Die Schaufel ging wie von selbst. Das Auto füllte sich schnell. Und es lud sich von selbst ab, ein Kipplaster. Karli Halmen und ich warteten hier in
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