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Atemschaukel

Titel: Atemschaukel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Mueller
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Tod der Frau des Advokaten ein Mantel frei geworden war, so wie der Advokat nichts dafür konnte, dass auch er frei geworden war durch den Tod seiner Frau, so wie er nichts dafür konnte, dass er sie durch die Loni Mich ersetzen wollte, so konnte auch die Loni Mich nichts dafür, dass sie einen Mann hinter der Decke wollte oder einen Mantel, oder dass beides voneinander nicht zu trennen war, so wie auch der Winter nichts dafür konnte, dass er eisigkalt war, und der Mantel nichts dafür konnte, dass er gut wärmte, so konnten auch die Tage nichts dafür, dass sie eine Kette von Ursachen und Folgen waren, so wie auch die Ursachen und Folgen nichts dafür konnten, dass sie die nackte Wahrheit waren, obwohl es um einen Mantel ging.
    So war der Lauf der Dinge: Weil jeder nichts dafür konnte, konnte keiner was dafür.

Weißer Hase
    Vater, uns jagt der weiße Hase aus dem Leben. In immer mehr Gesichtern wächst er in den Wangendellen.
    Noch nicht ausgewachsen, schaut er sich bei mir das Fleisch von innen an, weil es auch seines ist. Hasoweh.
    Seine Augen sind Kohle, seine Schnauze ein Blechgeschirr, seine Beine Schürhaken, sein Bauch ein Wägelchen im Keller, sein Weg eine Schiene steil aufwärts zum Berg.
    Noch sitzt er rosa gehäutet in mir und wartet mit seinem eigenen Messer, das auch das Brotmesser von Fenja ist.

Heimweh.
Als ob ich es bräuchte
    Sieben Jahre nach meiner Heimkehr war ich seit sieben Jahren ohne Heimweh. Als ich auf dem Großen Ring im Schaufenster der Buchhandlung Fiesta von Hemingway sah, las ich aber Fiesta von Heimweh. Darum kaufte ich das Buch und machte mich auf den Heimweh, auf den Heimweg.
    Es gibt Wörter, die machen mit mir, was sie wollen. Sie sind ganz anders als ich und denken anders, als sie sind. Sie fallen mir ein, damit ich denke, es gibt erste Dinge, die das Zweite schon wollen, auch wenn ich das gar nicht will. Heimweh. Als ob ich es bräuchte.
    Es gibt Wörter, die mich zum Ziel haben, als wären sie nur für den Rückfall ins Lager gemacht, außer dem Wort RÜCKFALL selbst. Dieses Wort bleibt undienlich, wenn mir der Rückfall passiert. Undienlich ist auch das Wort ERINNERUNG. Auch das Wort BESCHÄDIGUNG ist für den Rückfall nicht zu gebrauchen. Auch das Wort ERFAHRUNG. Wenn ich es mit diesen undienlichen Wörtern zu tun kriege, muss ich mich dümmer stellen, als ich bin. Sie aber sind nach jeder Begegnung mit mir noch härter als vorher.
    Man hat Läuse auf dem Kopf, in den Augenbrauen, im Nacken, in den Achseln, im Schamhaar. Man hat Wanzen im Bettgestell. Man hat Hunger. Man sagt aber nicht: Ich habe Läuse und Wanzen und Hunger. Man sagt: Ich habe Heimweh. Als ob man es bräuchte.
    Manche sagen und singen und schweigen und gehen und sitzen und schlafen ihr Heimweh, so lang und so umsonst. Manche sagen, das Heimweh verliert mit der Zeit seinen Inhalt, wird schwelend und erst recht verzehrend, weil es mit dem konkreten Zuhause nichts mehr zu tun hat. Ich gehöre zu denen, die das sagen.
    Ich weiß, schon im Bereich der Läuse gibt es dreierlei Heimweh: die Kopflaus, die Filzlaus und die Kleiderlaus.
    Die Kopflaus kriecht und juckt an der Kopfhaut, hinter den Ohren, in den Augenbrauen, am Haaransatz im Nacken. Wenn es im Nacken juckt, kann es auch die Kleiderlaus im Hemdkragen sein.
    Die Kleiderlaus kriecht nicht. Sie sitzt in den Nähten der Wäsche. Sie heißt Kleiderlaus, lebt aber nicht vom Zwirn.
    Die Filzlaus kriecht und juckt im Schamhaar. Das Wort Schamhaar wurde nicht ausgesprochen. Man hat gesagt: Mich juckt es unten.
    Die Größe der Läuse ist verschieden, aber alle sind weiß und sehen aus wie kleine Krebse. Wenn man sie zwischen den Daumennägeln zerquetscht, knacken sie trocken. Auf einem Nagel hat man den wässrigen Fleck von der Laus und auf dem anderen einen klebrigen Blutfleck. Die Eier der Läuse sind farblos aufgereiht wie ein gläserner Rosenkranz oder durchsichtige Erbsen in der Schote. Nur wenn sie Fleckfieber oder Typhus haben, sind Läuse gefährlich. Sonst kann man mit ihnen leben. Man gewöhnt sich daran, dass es überall juckt. Man könnte meinen, dass die Läuse in der Rasierstube über den Kamm von einem Kopf auf den anderen kamen. Das hatten sie nicht nötig, sie krochen in der Baracke von einem Bett zum anderen. Wir stellten die Füße der Betten in Konservendosen mit Wasser, um denLäusen den Weg abzuschneiden. Aber sie waren so hungrig wie wir und fanden andere Wege. Beim Appell, beim Schlangestehen am Essensschalter, an den langen Tischen

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