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Atemschaukel

Titel: Atemschaukel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Mueller
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Schnee
    Und das du mir geschrieben hast
    Das Brieflein tut mir weh
    Die Planton-Kati saß mit ihrem Stück Torte auf der Fayencekachel am Tischchen unter der Dienstlampe. Sie schaute uns teilnahmslos zu. Doch als das Lied zu Endewar, wackelte sie auf ihrem Stuhl und machte: UUUH, UUUH.
    Dieses tiefe UUUH machte sie, den dumpfen Ton der Deportationslokomotive beim letzten Halt in der Schneenacht vor vier Jahren. Ich erstarrte, einige weinten. Auch die Trudi Pelikan fand keinen Halt mehr. Und die Planton-Kati schaute sich das Weinen an und aß ihre Torte. Man sah, dass es ihr schmeckte.
    Es gibt Wörter, die machen mit mir, was sie wollen. Ich weiß nicht mehr, ob das russische Wort WOSCH die Wanzen meint oder die Läuse. Ich meine mit Wosch sowohl die Wanzen als auch die Läuse. Das Wort kennt seine Tiere vielleicht gar nicht. Ich schon.
    Die Wanzen klettern an den Wänden hoch und lassen sich im Dunkeln vom Plafond auf die Betten fallen. Ich weiß nicht, ob sie sich im Hellen nicht fallen lassen oder ob man sie nur nicht sieht. Auch als Schutz vor den Wanzen brennt die ganze Nacht das Dienstlicht in den Baracken.
    Unsere Bettgestelle sind aus Eisen. Rostige Stangen mit rauhen Schweißnähten. In ihnen können sich die Wanzen vermehren, auch in den ungehobelten Brettern unterm Strohsack. Wenn die Wanzen überhandnehmen, müssen wir, meistens am Wochenende, mit den Betten in den Hof. Die Männer aus der Fabrik haben sich Drahtbürsten gemacht. Die Bettgestelle und die Bretter werden unter den Bürsten rotbraun vom Blut der zerquetschten Wanzen. Wir sind bei dieser befohlenen Wanzenvertilgung ehrgeizig dabei. Wir wollen unsere Betten säubern und in den Nächten Ruhe haben. Wir sehen das Blut der Wanzen gern, weil es unseres ist. Je mehr Blut, um so mehr Lust macht das Bürsten. Aus uns wird aller Hass herausgelockt. Wir bürstendie Wanzen tot und werden dabei stolz, als wären es die Russen.
    Dann überfällt uns, wie ein Hieb auf den Kopf, die Übermüdung. Ein Stolz, der müde ist, macht traurig. Er hat sich kleingebürstet, bis zum nächsten Mal. Im Wissen der Vergeblichkeit tragen wir die entwanzten Betten wieder in die Baracken zurück. Mit einer lausigen Bescheidenheit im engsten Sinn des Wortes sagen wir: Wenigstens die Nacht kann kommen.
    Und 60 Jahre später träume ich: Ich bin zum zweiten, dritten, manchmal sogar zum siebten Mal deportiert. Ich stelle meinen Grammophonkoffer an den Brunnen und irre auf dem Appellplatz herum. Es gibt keine Brigaden hier, keinen Natschalnik. Ich habe keine Arbeit. Ich bin vergessen von der Welt und von der neuen Lagerleitung. Ich berufe mich auf meine Erfahrung als Lagerveteran. Ich habe doch schließlich meine Herzschaufel, meine Tag- und Nachtschicht war immer ein Kunstwerk, erkläre ich. Ich bin doch kein Hergelaufener, ich kann doch was. Ich kenne mich aus mit Keller und Schlacke. Ich habe doch von meiner ersten Deportation ein käfergroßes Stück Schlacke blauschwarz im Schienbein eingewachsen. Ich zeige die Stelle am Schienbein wie einen Heldenorden. Ich weiß nicht, wo ich schlafen soll, hier ist alles neu. Wo sind die Baracken, frag ich. Wo ist Bea Zakel, wo ist Tur Prikulitsch. Die lahmende Fenja hat in jedem Traum eine andere Häkeljacke an und darüber immer dieselbe Schärpe aus dem weißen Brotleintuch umhängen. Sie sagt, es gibt keine Lagerleitung. Ich fühle mich vernachlässigt. Keiner will mich hier haben, und ich darf auf keinen Fall weg.
    In welches Lager ist der Traum geraten. Interessiert esden Traum überhaupt, dass es die Herzschaufel und den Schlackenkeller wirklich gab. Dass mir die fünf gefangenen Jahre reichen. Will der Traum mich ewig deportieren und mich dann im siebten Lager nicht einmal arbeiten lassen. Das kränkt nun wirklich. Ich kann dem Traum nichts entgegenhalten, egal zum wievielten Mal er mich deportiert und in welchem Lager ich gerade bin.
    Falls ich in diesem Leben noch einmal deportiert werden sollte, wüsste ich: Es gibt erste Dinge, die das Zweite schon wollen, auch wenn man das gar nicht will. Was treibt mich in diese Verbundenheit. Warum will ich nachts das Recht auf mein Elend haben. Warum kann ich nicht frei sein. Wieso zwinge ich das Lager, mir zu gehören. Heimweh. Als ob ich es bräuchte.

Ein heller Moment
    An einem Nachmittag saß die Planton-Kati, wer weiß seit wann, am Holztischchen in der Baracke. Wahrscheinlich wegen der Kuckucksuhr. Als ich hereinkam, fragte sie: Wohnst du hier.
    Ich sagte: Ja.
    Ich auch, sagte

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