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Atemschaukel

Titel: Atemschaukel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Mueller
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doppelten Mantel und nicht, dass ich unterwegs war in mein altes Leben. Die Kassenfrau war neu. Aber die Halle erkannte mich, der blanke Boden, die Mittelsäule, die Bleiverglasung am Schalter, die Kachelwände mit dem Seerosenmuster. Der kalte Schmuck hatte sein eigenes Gedächtnis,die Ornamente hatten nicht vergessen, wer ich bin. Meine Brieftasche steckte in der Jacke. Darum griff ich in meine Manteltasche und sagte:
    Ich habe die Brieftasche zu Haus gelassen, ich hab kein Geld.
    Die Kassenfrau sagte: Macht nichts. Nun ist die Karte abgerissen, zahlst sie nächstes Mal. Ich schreib dich auf.
    Ich sagte: Nein, auf keinen Fall.
    Sie streckte den Arm aus der Kassenloge und wollte mich am Mantel packen. Ich wich zurück, blies die Backen auf, zog den Kopf ein und schlurfte mit den Fersen voraus an der Mittelsäule knapp vorbei in Richtung Tür.
    Sie rief mir nach: Ich hab Vertrauen, ich schreib dich auf.
    Erst jetzt sah ich den grünen Bleistift hinter ihrem Ohr. Ich stieß mit dem Rücken an die Türklinke und riss die Tür auf. Ich musste ziehen, die Metallfeder war sperrig. Ich schlüpfte durch den Spalt, die Tür quietschte mir hinterher. Ich hetzte durch das Eisentor auf die Straße.
    Es war schon dunkel. Der Schwan auf dem Emblem schlief weiß, und die Luft schlief schwarz. Unter der Laterne an der Straßenecke schneite es graue Federn. Obwohl ich mich nicht von der Stelle rührte, hörte ich meine Schritte im Kopf. Dann fing ich an zu gehen und hörte sie nicht mehr. Mein Mund roch nach Chlor und Lavendelöl. Ich dachte an die Etuba und sprach von einer Laterne zur anderen bis nach Hause mit dem schwindlig fliegenden Schnee. Es war nicht der, in dem ich ging, sondern ein ausgehungerter von weit her, der mich kannte vom Hausieren.
    Auch an diesem Abend kam die Großmutter einen Schritt auf mich zu und legte die Hände auf die Stirn, fragte aber:
    Du kommst so spät, hast du ein Mädchen.
    Am folgenden Tag schrieb ich mich zum Betonierkurs im Abendlyzeum ein. Dort auf dem Schulhof habe ich Emma kennengelernt. Sie machte einen Buchhalterkurs. Sie hatte helle Augen, nicht messinggelb wie Tur Prikulitsch, sondern wie Quittenpelz. Und sie hatte wie alle in der Stadt einen dunklen heimatsatten Mantel. Vier Monate später habe ich Emma geheiratet. Zu der Zeit war Emmas Vater schon todkrank, wir feierten keine Hochzeit. Ich zog zu Emmas Eltern. Alles Meinige trug ich bei mir, meine drei Diktandohefte und Kleider passten alle in den Holzkoffer aus dem Lager. Vier Tage später starb Emmas Vater. Ihre Mutter zog ins Wohnzimmer und überließ uns das Schlafzimmer mit dem Ehebett.
    Ein halbes Jahr wohnten wir bei Emmas Mutter. Dann zogen wir aus Hermannstadt in die Hauptstadt, nach Bukarest. Unsere Hausnummer war 68 wie die Anzahl der Betten in der Baracke. Die Wohnung lag im vierten Stock, hatte nur ein Zimmer und eine Kochnische, die Toilette war auf dem Gang. Doch in Wohnungsnähe, zwanzig Minuten Fußweg, lag ein Park. Als der Sommer in die Großstadt kam, ging ich die Abkürzung, wo der Staub flog. Da war der Fußweg nur fünfzehn Minuten. Wenn ich im Treppenhaus auf den Lift wartete, stiegen im Drahtkäfig des Schachts zwei hellgeflochtene Stricke hinauf und hinab, als kämen Bea Zakels Zöpfe.
    An einem Abend saß ich mit Emma im Restaurant Goldener Krug, am zweiten Tisch neben dem Orchester. Der Kellner hielt sich beim Einschenken das Ohr zu und sagte:
    Da hören Sie es, das habe ich doch dem Chef die ganze Zeit versichert, das Klavier spielt falsch. Und was hat er gemacht, er hat den Pianisten rausgeschmissen.
    Emma schaute mich scharf an. In ihren Augen drehten sich gelbe Zahnrädchen. Sie waren angerostet, ihre Lider blieben beim Blinzeln daran hängen. Dann zuckte ihre Nase, die Zahnrädchen machten sich frei, und Emma sagte mit klaren Augen:
    Na siehst du, immer erwischt es den Spieler, nie das Klavier.
    Wieso hatte sie mit diesem Satz gewartet, bis der Kellner weg war. Ich hoffte, sie weiß nicht, was sie sagt. Im Park habe ich damals den Decknamen DER SPIELER gehabt.
    Angst kennt kein Pardon. Ich habe den nahen Park gewechselt. Und meinen Decknamen. Für den neuen Park weit von der Wohnung und nahe am Bahnhof habe ich mir den Namen DAS KLAVIER genommen.
    An einem Regentag kam Emma mit einem Strohhut nach Hause. Sie stieg aus dem Bus. Nahe der Bushaltestelle an dem kleinen Hotel DIPLOMAT stand ein Mann unter der Markise. Als Emma vorbeiging, fragte er, ob er ein Stück unter ihrem Schirm gehen darf bis an die

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