Atevi 1 - Fremdling
unbeschwerte Lust, um dann feststellen zu müssen, einem Todeswunsch nachgegeben zu haben.
Er war es leid, von Mospheira unter Druck gesetzt zu werden, er haßte die Zwänge, die ihm sein Amt auferlegte, nicht zuletzt auch die Zwänge aus eigener, menschlich emotionaler Bedürftigkeit. Und er haßte die Atevi, ihre leidenschaftslose Gewaltbereitschaft, ihre Lügen und ihre Art, die ihn dazu nötigte, sich in geradezu schizophrenen Analysen Rechenschaft abzulegen über jedes Wort und jede Empfindung, um zu sortieren: Was ist objektiv vertretbar und was ist bloß Ausfluß typisch menschlicher Schwäche?
Er war erschöpft und ausgelaugt, fühlte sich zerrieben zwischen beiden Welten.
Und dies war die zweite persönliche Wahrheit, der er sich gegenübersah seit dem Moment, da man ihm die Pistole an den Kopf gesetzt hatte: daß der Paidhi den Anforderungen seines Amtes nicht länger gewachsen war, daß er Angst hatte vor denen, die ihn umgaben, daß er schlichtweg versagt und nichts richtig gemacht hatte.
Aus den Atevi war einfach nicht schlau zu werden. Was sich in ihrem Innern abspielte, war nicht nur nicht zu übersetzen, sondern nicht einmal nachvollziehbar oder auch nur annähernd zu erahnen.
Es drohte der Ausbruch eines Krieges. Atevi schossen aufeinander, weil sie von den Unternehmungen der Menschen irritiert waren, und der Paidhi, für Vermittlung zuständig, funktionierte nicht mehr. Der Schrecken der vergangenen Nacht hatte ihm den Rest gegeben. Vielleicht war denen, die ihn in den Keller geschleppt hatten, nicht klar gewesen, was sie da anrichten. Vielleicht ahnte niemand, wie es um ihn bestellt war und was sein Verhalten an diesem Morgen, sein Schüttelfrost und seine morbiden Selbstzweifel zu bedeuten hatten.
Nein, das war kein Spiel gewesen, das sie in der vergangenen Nacht mit ihm getrieben hatten, keine Drohung zum Schein. Cenedi war gründlich zu Werke gegangen und hatte, um zu erfahren, was er wissen wollte, keinerlei Rücksicht genommen auf seine, Brens, Verfassung und in Kauf genommen, daß er bleibende Schäden davontrug.
Aber er durfte sich nicht aufgeben. Keinesfalls. Hör auf, die Wunden zu lecken, redete er sich ein; denk nach und laß dir einfallen, was diesen Spuk beenden und die Wahnsinnigen zur Vernunft bringen könnte, die den Krieg heraufbeschwören.
Darauf mußte er sich jetzt konzentrieren.
Immerhin waren keine weiteren Gewehrschüsse mehr zu hören. Sie entfernten sich von Malguri auf halbwegs ebenem und bis auf gelegentliche Hindernisse und Klippen gut passierbarem Gelände, kamen zügig voran und hielten sich weiter südlich. Womöglich, dachte Bren, am Ende doch auf den Flughafen von Maidingi zu, wo es den schlimmsten Ärger zu erwarten gab.
Womöglich hatte Tabini Hilfe geschickt, vorausgesetzt, er wußte Bescheid und war von Banichi über die Lage unterrichtet worden. Hoffentlich hatte der Gelegenheit gehabt zu telefonieren oder jemanden anzufunken, der die Meldung nach Shejidan weiterleiten konnte.
»Wir reiten nach Süden«, sagte Bren, als Cenedi zu ihm aufschloß. »Geht’s etwa nach Maidingi?«
»Wir sind verabredet«, antwortete Cenedi. »An der Straße kurz hinter einem Ort namens Zinnen. Da treffen wir auf Ihre Leute, falls sie’s denn bis dahin geschafft haben.«
Bren atmete erleichtert auf. »Und wie soll’s dann weitergehen?«
»Nach Nordwesten zu jemandem, bei dem wir sicher sind. Vorsicht, Nadi!«
Sie waren in einen schmalen Hohlweg geraten. Tali, Cenedis Mecheita, galoppierte voraus und kreuzte Nokhadas Bahn, die sich kurz aufbäumte und mit den Vorderläufen austrat, verärgert darüber, Tali den Vortritt lassen zu müssen.
Bren faßte Mut in Aussicht darauf, Banichi und Jago zu erreichen, dem Flughafen auszuweichen und auf einen Helfer zu treffen, der womöglich Fahrzeuge bereithielt. Endlich zeichnete sich ein Plan ab, eine zielgerichtete Route. Und die Adresse einer Man’chi-Verbindung zu wissen versprach mehr Sicherheit als das Überschreiten irgendeiner Provinzgrenze.
Cenedi war nicht der Typ, der einer vagen Hoffnung nachlief; er wußte, worauf er sich einlassen konnte – im Unterschied zu Ilisidi und ihresgleichen, die Aijiin, die keine Verbindlichkeiten kannten, kein Man’chi über sich hatten. Und darum waren sie nicht berechenbar, insbesondere Ilisidi nicht. Ihre Verbündeten wußten wohl, daß sie ein doppeltes Spiel trieb. Doch in ihrer Antwort darauf hatten sie sich offenbar gründlich verkalkuliert. Tabini war mit vollem Risiko auf
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