Atevi 2 - Eroberer
Man’chi, dem er sich verpflichtet hatte, preisgab zugunsten einer Laune, einem Man’chi, das, wie er glaubte, ursprünglicher war und darum gültiger. Und dann stand dieser Tropf alleingelassen mitten auf der Bühne, klagte sein Leid über ein verfehltes Leben und zerschlug schließlich alles in Scherben, was für ihn von Wert gewesen war.
Bren glaubte zu ahnen, worin die Tragik eines solchen atevischen Helden lag. Er stand am Fenster und schaute hinaus in das diffuse Dunkelgrau der anbrechenden Dämmerung. Allmählich zeichneten sich in der Ferne die Konturen der Bergid-Gipfel ab.
Ja, er freute sich auf Jason Graham, aber im nüchternen Licht des heraufziehenden Tages wurde ihm bewußt, wie mühselig es für ihn sein würde, diesen Mann in seine Aufgaben einzuweisen. Bis der die Sprache gelernt, seine Vorurteile abgelegt und genügend Erfahrungen gesammelt hatte, mochten Jahre ins Land gehen, und dann – dann würde das Schiff womöglich wieder verschwinden und ein weiterer Kontakt zu den Menschen abreißen.
Und was wäre, wenn sich der Fallschirm nicht öffnete? Der Gedanke schlug ihm auf den Magen, verstörte ihn auf eine Weise, die ihm unheimlich anmutete. Er war jenseits allen Selbstmitleids und trieb geradewegs in Richtung Panik. Er fühlte sich vereinsamt, isoliert von den Menschen, und diese – sprich’s aus – freundliche Stimme hatte einen Nerv getroffen, den er erfolgreich betäubt zu haben glaubte.
Zum Teufel noch, er war doch nicht der erste Mensch, der sich ganz und gar einem Job verschrieben und alles andere drangegeben hatte, wissend, auf was er sich einließ. Er hatte zu verzichten gelernt, letztlich auch auf Barb. Aber wofür?
Das war die andere gefährlich Falle, in die er immer wieder zu tappen drohte: die Erwartung, alle Entbehrungen und Anstrengungen zu einem lohnenden Ergebnis führen und sagen zu können: Geschafft, gewonnen; die Atevi sind im All, die Menschen in die Station zurückgekehrt, die Schranken zwischen beiden Spezies überwunden, und nun leben und arbeiten sie gemeinsam in paradiesischer Eintracht…
Vor diesem Herrgottskomplex hatte man ihn schon während der Vorbereitung auf das Paidhi-Amt eindringlich gewarnt. Bloß nicht übermütig werden und keine Extravaganzen. Es waren ihm Bilder von den Toten und Verletzten des Krieges vorgelegt worden, die auf abschreckende Weise deutlich machten, wohin es führte, wenn Fortschritt allzu rasch vorangetrieben wurde, ungeachtet der Verwerfungen und Erschütterungen, die Veränderungen mit sich brachten.
Ja, er durfte nicht den Kopf verlieren und eine fixe Idee mit aller Macht zu verwirklichen suchen. Sein Job bestand vielmehr darin, Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren, mit dem Schlimmsten zu rechnen. Damit zum Beispiel, daß sich der Fallschirm womöglich nicht öffnen könnte. Der Teufel steckt – Baji-Naji – meistens im Detail. Und verlaß dich nie auf den vermeintlich gesunden Menschen- beziehungsweise Ateviverstand.
Er verließ das Büro und ging ins Eßzimmer, wo gleich darauf zwei Dienerinnen auftauchten, sichtlich verkatert, sich artig verbeugten und loseilten, um in der Küche Bescheid zu geben, daß der Paidhi zu frühstücken wünsche.
Er öffnete die Glastür zum Balkon und ließ sich den kühlen, feuchten Wind um die Nase wehen. Er mußte Tabini informieren, mit Hanks sprechen, das Auswärtige Amt auf Mospheira zu erreichen versuchen.
Und – weiß Gott – es wurde Zeit, daß er sich mit George, dem Stabschef im Präsidialamt, in Verbindung setzte. Vielleicht war es ratsam, vorher ein paar Pillen zu schlucken, um den Magen zu beruhigen, wenn es denn tatsächlich gelingen sollte, telefonisch nach Mospheira durchzukommen.
Am Vormittag stand außerdem noch eine Ausschußsitzung an. Und mit dem Morgentee war die Bitte an ihn herangetragen worden, dem Fernsehen ein Interview zu geben. Die Nachrichtenredaktion hatte offenbar – über welche Kanäle wohl? – erfahren, daß eine neue Landung bevorstand, und drängte den Paidhi, nähere Auskünfte zu geben.
Er frühstückte und schaltete seinen Diktaskriptor ein, ein Gerät, das gesprochene Wörter zu Text verarbeitete. Auch wenn es manche Laute, die nicht deutlich genug artikuliert wurden, falsch verstand und in geschriebenen Unsinn übersetzte, war es doch eine große Hilfe, vor allem bei längeren Texten, zumal mit der automatischen Rechtschreibkontrolle die gröbsten Schnitzer verbessert werden konnten.
Nach einer halben Stunde und
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