Atevi 2 - Eroberer
Aijiin abstammten. Das war bekannt, blieb aber in seiner tieferen Bedeutung für Menschen unverstanden, die nicht nachvollziehen konnten, was für Atevi selbstverständlich war, nämlich daß sich ein einstmals so mächtiger Verband nicht einfach auflösen würde, jedenfalls nicht solange er noch territorialen Besitz beanspruchte und bestimmte Interessen damit verknüpfte. Daß alte Hierarchien und auch Rivalitäten nach wie vor Geltung besaßen.
Die Menschen hatten immer nur den wirtschaftlichen Wettbewerb im Auge und verkannten die Bedeutung der Opposition im Tashrid. Sie glaubten, daß sich die Atevi in ihren gesellschaftlichen Strukturen dem Vorbild Mospheiras annäherten und daß sich mit dem Aufschwung der Mittelschicht demokratische Spielregeln durchsetzen würden.
Falsch. Die Demokratisierung war dem wirtschaftlichen Aufstieg der Mittelschicht als Bedingung seiner Möglichkeit voraufgegangen; vielleicht hatte der erste Paidhi diese Entwicklung in die Wege geleitet, indem er seinem Aiji Dinge über die Menschen offenbarte, die seinerzeit womöglich ebenso verstörend gewirkt hatte wie heute das Überlichtgeschwindigkeitskonzept auf Geigis Philosophie.
Es gab auf der ganzen Welt kein Lebewesen, das völlig vereinzelt wäre. Wo ein Exemplar lebte, lebten auch andere, und die bildeten Verbände, und mochten sie zahlenmäßig noch so klein sein wie etwa die Wi’itkitiin, die nach kurzem Flug in die Tiefe wieder den Fels hinaufkletterten, unbeirrt, entschlossen. Verdammt hartnäckig. So wie die Atevi. Wie die Mecheiti. Sie gaben ein Vorhaben nicht einfach auf, ließen niemals locker in ihren Anstrengungen und hielten mit aller Entschiedenheit fest an ihrem angestammten Platz – wie die Wi’itkitiin an ihren Nestern, so die Lords an ihren ererbten Besitztümern.
Dumm und zum Scheitern verurteilt, wer sich dem entgegenzustellen versuchte, dachte Bren, als er in der Ferne auf einer kleinen Anhöhe am Rande eines ausgedehnten Waldgebiets die braunen Ziegeldächer Taibens näher rücken sah.
Deana hatte keine Ahnung, auf was sie sich da einließ, borniert, wie sie war. Wie lautete gleich das Thema ihrer Abschlußarbeit? Ökonomischer Determinismus. Und über diesen Leisten zog sie auch die Atevi, überzeugt davon, daß die wirtschaftliche Dynamik diese in dieselbe Richtung marschieren ließ, die auch die Menschen eingeschlagen hatten, daß jede Industriegesellschaft letztlich die gleichen Institutionen ausbilden würde. Sich über sprachliche Nuancen den Kopf zu zerbrechen, hatte Deana nicht nötig. Statt sich der Mühe zu unterziehen, die Gegenseite verstehen zu lernen, reichte es ihrer Meinung nach völlig aus, mit ihr Geschäfte zu machen; die Atevi würden sich wohl oder übel den Menschen anpassen müssen.
20
Kaum war der Zug zum Stehen gekommen, eilten die Diener aus der überdachten Vorhalle herbei, um den Paidhi zu begrüßen und ihm das Gepäck abzunehmen.
Und vielleicht war es der Anblick der vertrauten Umgebung, in der er bislang nur angenehme Stunden verbracht hatte, vielleicht lag es an der tröstlichen Wirkung, die davon ausging, daß er jenen merkwürdig geformten Bruchstein im Sockel der Vorhalle wiedererkannte, das grob behauene Holzwerk und die matten Grau- und Brauntöne an der Rückfront des schlichten Landhauses – wie dem auch sei, er war augenblicklich in gehobener Stimmung und zuversichtlich, daß sich hier nun alles zum Guten wenden würde. Er betrat das Haus durch den hinteren, zum Bahnsteig hin gelegenen Zugang und ging, während die Diener sein Gepäck in den Seitenflügel brachten, durch den Flur, vorbei an all den Jagdtrophäen, die zu beiden Seiten an den Wänden hingen, nach vorn in die mit Ledersofas und Holzbänken eingerichtete Empfangshalle. Zu seiner Freude brannte im Kamin ein kleines Feuer aus aromatisch duftendem Knüppelholz und Reisig, zusammengetragen von den Forstgehilfen, die im Wald für Ordnung sorgten.
Nebenan lag das Zimmer, in dem er während seines letzten Aufenthaltes geschlafen hatte, ein sehr behagliches Zimmer mit rustikalen Steppdecken und Fellen auf einem Bettgestell, das einem Erdbeben standhalten würde, und einem Holzrelief an der Wand, das eine Gruppe von sieben Bäumen abbildete – kein Beispiel großer Kunst, aber hübsch anzusehen.
Sein Bett. Eine bequeme Matratze. Ein Bad mit Gas Heizung für den Winter; in der Duschkabine Kacheln mit den Motiven von Wildblumen, handgemalt. Er atmete tief und befreit durch, fühlte sich so gut
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