Athyra
Klippe, die über einen Fluß ragt. An diesem Fluß waren ziemlich viele Leute, die badeten, schwammen und wuschen.«
Tem biß die Zähne zusammen und sagte dann: »Und was ist damit?«
»Och, eigentlich nichts«, erwiderte Vlad. »Aber wenn das Kleineklippe ist, dann ist sie doch recht groß.«
»Kleineklippe liegt im Norden«, sagte Tem. »Wir leben unterhalb von Kleineklippe.«
»Na, das wäre ja geklärt«, sagte Vlad. »Aber die Aussicht ist doch wirklich herrlich; man kann meilenweit sehen. Dürfte ich bitte etwas Wasser haben?«
Tem sah sich unter den vierzig oder fünfzig Leuten um, die in seinem Haus versammelt waren, und Savn fragte sich, ob er auf jemanden wartete, der ihm sagte, was er tun soll. Schließlich griff er nach einem Becher und goß frisches Wasser aus der Kanne unter der Theke ein.
»Vielen Dank«, sagte Vlad und trank einen großen Schluck.
»Was machst du hier?« fragte Tem.
»Ich trinke Wasser. Wenn du wissen willst, warum, der Grund ist, alles andere schmeckt nach Leinöl.« Er trank noch etwas, dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. Einer murmelte etwas wie: »Wenn’s ihm hier nicht paßt …«, und ein anderer sagte: »Hochmütig wie ein Lord.«
Tem räusperte sich und machte den Mund auf, schloß ihn wieder und schaute über seine Gäste. Vlad, dem dies alles anscheinend entging, sagte: »Als ich dort oben war, sah ich, wie eine Leiche in einem Karren die Straße entlanggebracht wurde. An einem großen, qualmenden Loch in der Erde wurde angehalten, und einige Leute legten die Leiche dort hinein und verbrannten sie. Es sah wie eine Zeremonie aus.«
Savn kam es vor, als wäre es jedem im Raum irgendwie gelungen, gleichzeitig zu keuchen und zu verstummen. Tem fragte grimmig: »Was geht dich das an?«
»Ich konnte den Leichnam sehr gut sehen. Der arme Kerl kam mir bekannt vor, wenn ich auch nicht weiß, woher.«
Einer, offenbar jemand von denen, die Zaum zur Feuergrube gebracht hatten, murmelte: »Ich habe dich da nicht gesehen.«
Vlad wandte sich demjenigen zu, lächelte und sagte: »Vielen herzlichen Dank.«
Savn wollte vor sich hin grinsen, verbarg diese Regung jedoch hinter vorgehaltener Hand, als er merkte, daß sonst niemand es lustig fand.
Tem fragte: »Du hast ihn gekannt, stimmt’s?«
»Ich glaube schon. Wie kam es, daß er starb?«
Tem beugte sich über die Theke und sagte: »Vielleicht kannst du das beantworten.«
Vlad sah den Meister des Hauses lang und streng an, dann blickte er noch einmal über die Gäste, plötzlich lachte er, und Savn atmete aus, dabei hatte er gar nicht gemerkt, wie er die Luft anhielt.
»Ach, deshalb«, sagte Vlad. »Ich hatte mich schon gefragt, wieso mich jeder hier anglotzt, als wäre ich mit dem Dreitagesfieber in die Stadt gelaufen. Ihr glaubt, ich hätte den Mann umgebracht und dann einfach irgendwie beschlossen hierzubleiben und mal zu sehen, was die Leute so davon halten, und es dann sogar selbst anzusprechen, falls es jemandem entgangen sein sollte.« Er lachte wieder auf. »Daß ihr denkt, ich hätte jemanden umgebracht, stört mich nicht sonderlich, aber ich bin nicht gerade begeistert davon, was ihr von meiner Intelligenz zu halten scheint.
Aber gut, wie lautet der Plan, meine Freunde? Werdet ihr mich zu Tode steinigen? Totschlagen? Euren Baron herrufen, damit er seine Soldaten schickt?« Langsam schüttelte er den Kopf. »Was für ein Narrenpack.«
»He, jetzt hör mal«, sagte Tem, der ziemlich rot im Gesicht geworden war. »Es hat ja niemand behauptet, daß du es warst; wir fragen uns bloß, ob du weißt –«
»Ich weiß es nicht«, unterbrach der Ostländer. Dann fügte er hinzu: »Noch nicht.«
»Aber bald?« fragte Tem.
»Höchstwahrscheinlich«, antwortete er. »Ich werde mir die Angelegenheit jedenfalls ansehen.«
Tem sah verwirrt aus, als würde die Unterhaltung nun in eine Richtung gehen, der er nicht folgen konnte. »Ich verstehe nicht«, sagte er schließlich. »Warum?«
Der Ostländer schaute sich seine Handrücken an. Auch Savn sah hin und kam zu dem Schluß, daß der fehlende Finger nicht normal war, und er fragte sich, wie Vlad ihn wohl verloren hatte. »Wie ich schon sagte«, sprach Vlad weiter, »ich glaube, ich kannte ihn. Ich möchte wenigstens herausfinden, wieso er mir so bekannt vorkam. Dürfte ich bitte noch etwas Wasser haben?« Er zog ein Kupferstück aus einem Beutel an seinem Gürtel und legte es auf die Theke, dann nickte er dem Raum im Ganzen zu und bewegte sich in
Weitere Kostenlose Bücher