Athyra
streckte den Kopf hindurch und zog ihn genausoschnell wieder herein.
»Was ist es?« wollten die anderen wissen.
»Ein Jhereg«, sagte Korall mit großen Augen. »Ein Riesenvieh.«
»Was hat es gemacht?« fragte Savn.
»Am Rand auf dem First gehockt und mich von oben angestarrt.«
»Hä?« machte Savn. »Laß mal sehen.«
»Aber gerne.«
»Paß auf, daß seine Zunge dich nicht berührt«, warnte Tuk. »Die ist giftig.«
Savn schaute zögernd nach draußen, während Korall sagte: »Stell dich ruhig hin, aber paß auf, daß es dich nicht ableckt.«
»Bei den Göttern!« rief Savn und riß den Kopf zurück. »Wirklich riesig. Ein Weibchen, glaube ich. Will noch jemand gucken?«
Die anderen lehnten diese Ehre ab, obwohl Savn und Korall sie ordentlich bedrängten, denn sie, die sich ja schon bewiesen hatten, glaubten, es nun eh nicht mehr tun zu müssen. »Och, nee«, sagte Tuk. »Die beißen.«
»Und spucken Gift«, fügte Lan hinzu.
»Stimmt gar nicht«, entgegnete Savn. »Beißen tun sie, aber spucken nicht, und nur vom Ablecken kann dir nichts passieren.« Langsam fühlte er sich wie ein Besitzer dieser Tiere, nachdem er in der letzten Zeit so viele davon gesehen hatte.
Inzwischen war Tem auf das Getümmel aufmerksam geworden. Er kam hinter ihnen dazu und fragte: »Was ist denn hier los?«
»Ein Jhereg«, sagte Korall. »Riesengroß.«
»Ein Jhereg? Wo?«
»Auf deinem Dach«, sagte Savn.
»Gleich über dem Fenster«, setzte Korall hinzu.
Tem warf einen Blick nach draußen und zog den Kopf dann langsam wieder zurück, womit er gleichermaßen Bewunderung und Neid in den Jungen hervorrief. »Ihr habt recht«, sagte er. »Das ist ein schlechtes Omen.«
»Wirklich?« fragte Korall.
Tem nickte. Er sah aus, als wollte er weiterreden, doch in dem Augenblick, nachdem schwere Stiefelschritte zu hören waren, erschien Vlad noch einmal.
»Guten Abend«, sagte er. Savn dachte nun, das bemerkenswerte an seiner Stimme war, daß sie so gewöhnlich klang, obwohl es eigentlich nicht so sein sollte. Entweder sollte sie tief und heiser sein, damit sie zu seiner Gestalt paßte, oder hoch und flötend, damit sie zu seiner Größe paßte, dabei klang er vollkommen menschlich.
Er setzte sich in der Nähe von Savn und seinen Freunden hin und sagte: »Ich hätte gern ein Glas Wein, bitte.«
Tem biß die Zähne aufeinander wie Meister Wack und fragte dann: »Welche Sorte Wein?«
»Die Farbe ist egal, die Herkunft ist egal, die Geschmacksnote ist egal, Hauptsache, er ist flüssig.«
Die alten Frauen, die geflissentlich die Possen von Savn und seinen Freunden überhört hatten, erhoben sich gleichzeitig und stolzierten unter herrischen Blicken zuerst gegen den Ostländer, dann gegen Tem nach draußen. Vlad sprach weiter: »Wenn es hier nicht so voll ist, gefällt es mir besser. Darf ich nun um den Wein bitten?«
Tem besorgte einen Becher Wein, und Vlad bezahlte. Er trank ein wenig, setzte den Becher ab und sah ihn sich an, während er ihn langsam hin und her schwenkte. Anscheinend entging ihm, daß Savn und seine Freunde ihn dabei anstarrten.
Nach einer kurzen Weile gingen erst Korall, danach die anderen an ihren Tisch zurück. Savn glaubte, Korall ginge ganz vorsichtig, als habe er Angst, den Ostländer zu stören. Nachdem sie alle saßen, schaute Vlad sie mit einem Gesichtsausdruck an, der Unschuld vorgaukelte. Er sagte: »Also, meine Herren, dann erzählt mir doch mal von dieser Gegend. Wie ist es hier so?«
Die vier Jungen sahen einander an. Wie sollte man auf eine solche Frage antworten?
Vlad sagte: »Ich meine, tauchen hier öfter Leichen aus dem Nichts auf oder ist es etwas Besonderes?«
Korall zuckte wie vom Blitz getroffen; Savn mußte beinahe lächeln, kriegte sich aber rechtzeitig in den Griff. Tuk und Lan murmelten unhörbar vor sich hin; dann sahen sie Korall und Savn an, standen auf und gingen. Korall zögerte, stand auf, schaute Savn an, wollte etwas sagen und folgte dann seinen Freunden nach draußen.
Vlad schüttelte den Kopf. »Sieht so aus, als wäre ich heute geschäftsschädigend. Das wollte ich wirklich nicht. Ich hoffe, der ehrenwerte Tem ist nicht unglücklich über meine Anwesenheit.«
»Bist du ein Zauberer?« fragte Savn.
Vlad lachte auf. »Was weißt du über Zauberer?«
»Ähm, sie leben ewig, und man kann ihnen nichts anhaben, weil sie ihre Seelen in magischen Behältern aufbewahren, in die man nicht gelangen kann, und sie können einen Sachen machen lassen, die man nicht will, und
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