Atlan 06 - Rudyn 03 - Acht Tage Ewigkeit
während sie sich mit festen Schritten über die Bohlenbrücke entfernte.
»Ich werde Sie nach Genzez begleiten … Koramal«, sagte Neife in die Stille hinein.
»Von wegen«, widersprach Oderich Musek. »Das kann ich auf keinen Fall gutheißen. Hier in den Bergen sind wir einigermaßen sicher. In der Stadt dauert es höchstens einen Tag, bis irgendjemand dich identifiziert. Dann …«
»Dann habe ich eben nur einen Tag Zeit, Oderich.« Neife wendete ihr Gesicht ihrem persönlichen Berater zu, obwohl sie ihn nicht sehen konnte; noch immer lagen ihre Augen unter dem Verband.
»Und um was zu tun?«
»Alles, was wir uns vorgenommen haben, um Ponter Nastase Einhalt zu gebieten. Sie müssen wissen, Koramal, dass ich ihn schon seit langem im Verdacht hatte, einen umstürzlerischen Plan zu verfolgen.«
»Sie haben demnach vorgesorgt?«, fragte ich.
Die Geheimdienstchefin lächelte schwach.
»Hätten Sie das etwa nicht?« Ein trockenes Husten schüttelte sie. Ti Sun reichte ihr einen Becher Wasser.
»Ich wusste zwar, dass, aber nicht was Nastase plante«, fuhr sie fort. Meine Berater kamen zu dem Schluss, ein Mann wie Nastase, sollte er tatsächlich die Machtübernahme anstreben, würde den Weg über einen Sündenbock gehen. Er würde jemanden brauchen, dem er die Schuld an dem, was er selber veranlasste, zuschieben konnte. Das ist ja der eigentliche Sinn von Schuldzuweisungen: Sie sollen den, der sie ausspricht, in eine bessere Position bringen. Mir dämmerte leider zu spät, wen er sich für diese Rolle auserkoren hatte. Ich hätte es besser wissen sollen.
»Was haben Sie vor?«, fragte ich.
»Ich möchte noch einmal betonen – ich habe keinen fertigen Plan. Nur ein dreistufiges Konzept. Zunächst werde ich an dem Bild kratzen lassen, das Nastase von mir zeichnet. Gegen Propaganda hilft bekanntlich nur Gegenpropaganda. Des Weiteren kann ich auf ein Netz mir verpflichteter Fachkräfte zählen.«
»Ihre berühmten Mitarbeiter im Außendienst?« Ich grinste und fragte mich zum wiederholten Mal, warum Neife und ich den Drang verspürten, unsere Agenten nicht als das zu bezeichnen, was sie waren, nämlich Agenten. Ich war begriffstechnisch mit meinen USO-Spezialisten um keinen Deut besser als sie mit ihren Mitarbeitern im Außendienst.
»Nein, damit würde jeder rechnen.« Neife deutete zu Musek hinüber. »Es war Oderichs Idee, bewusst auf die MIAs zu verzichten. Im Laufe der letzten Monate haben wir stattdessen subalterne Fachkräfte in der Transportwegebetreuung angeworben, besonders solche im Transmitterverkehr. Einfache Administrale, Techniker aller Klassen, Fabrikarbeiter; aber keine Militärs oder Obhutsleute. Gewisse Gefälligkeiten und Privilegien, die wir unauffällig erweisen konnten, ebneten dabei den Weg; ersparen Sie mir die Einzelheiten. Jedenfalls können wir über dieses Netz kurzfristig die meisten Verkehrswege auf und nach Rudyn blockieren.«
»Und die dritte Ebene?«
»Sah in der Theorie ein kleines Eingreifteam vor, das sich dem Usurpator beherzt entgegenwirft.«
»Sah? In der Theorie?« Ich ahnte, was das bedeutete.
Sie hob die Schultern und kniff die Lippen zusammen. »Das dafür vorgesehene Team ist noch nicht aufgestellt. Nastase schlug eher zu als wir dachten. Außer meinen Namen kann ich Ihnen daher noch keinen weiteren nennen.«
»Und ausgerechnet Sie sind verletzt – mithin haben Sie nachgerade ideale Voraussetzungen.«
Neife winkte ab. »Ich werde mich in zwei Tagen wieder einigermaßen bewegen können – Sie haben Kan Yu doch gehört.«
»Sich einigermaßen bewegen können und einen Risikoeinsatz durchzustehen sind immer noch zwei völlig verschiedene Dinge, Neife«, erneuerte Oderich seine Bedenken.
»Lieber in einen solchen Einsatz gehen als in Ponters Konverterkammer verglühen«, versetzte sie.
»Angenommen, Sie schaffen es, irgendwie bis zu Nastase durchzudringen«, sagte ich, und ich wusste nicht, ob ich von ihrem persönlichen Mut beeindruckt oder von ihrem unkalkulierbaren Leichtsinn erschüttert sein sollte. »Angenommen, Sie schaffen es wirklich, an allen Wachrobots, Soldaten, Sicherheitskräften und -systemen vorbeizukommen. Weiter angenommen, Sie schaffen es gegen jede Wahrscheinlichkeit, ihn zu stellen. Was haben Sie dann mit ihm vor?«
»Ihn vor ein ordentliches Gericht zu stellen. Was sonst?«
Ich nickte beipflichtend.
»Sie wissen, dass Ihre Chancen mehr als nur schlecht stehen?«
»Und dass die Lage hoffnungslos ist? Und kein Spaß wird?
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