Atlan 08 - Illochim 02 - Im Bann der Gatusain
Ich hielt ihn, damit Drays ihn untersuchen konnte, so gut es ohne Ausrüstung möglich war. In Tristans Augen irrlichterte es, seine Wangen und die Stirn glühten. Er gebärdete sich wie wild in meinem Griff und versuchte sich loszureißen. Havedge eilte zu Hilfe und fixierte den Kopf des Jungen.
»Er muss sofort in den Sarkophag.« Die Stimme unserer Medikerin klang dünn und gepresst.
Ich nickte. Gemeinsam legten wir Li in den Gatusain. Sein Schreien erstarb, das Toben ließ nach. Er war nicht bei Sinnen, doch instinktiv merkte er, was wir mit ihm taten. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, sein Wangen waren eingefallen.
»Wir brauchen Wasser. Wenn er aufwacht, muss er sofort trinken.«
Wir führten kein Gefäß mit uns. Große Blätter taten es auch. Connaire, Taffy und Eppenroq schwärmten aus, um Wasser zu besorgen. In Cyrianes Gesicht zeichneten sich tiefe Sorgenfalten ab.
»Doktor?«, fragte ich nur.
»Das war knapp«, eröffnete sie. »Ein paar Minuten später, und Li wäre kollabiert. Beim nächsten Mal garantiere ich für nichts.«
»Wir dürfen nicht mehr so lange warten«, forderte der Kurator. »Wir müssen ihn früher in den Sarkophag legen, damit es nicht so dramatisch wird wie gerade eben.«
Drays’ Gesicht verfinsterte sich. »Damit ist es nicht mehr getan.«
»Was wollen Sie damit sagen?« Havedge sah mich durchdringend an. »Wir müssen etwas tun, Sir. Wir können Tristan nicht sterben lassen.«
Ich blickte betreten zu Boden. Was sich abzeichnete, ließ sich nicht mehr aufhalten. Nicht für Li, nicht für mich. Ich erkannte das ganze Ausmaß der Sinnlosigkeit unserer Expedition. Wozu sich länger etwas vormachen? Wir hatten bereits verloren. Am Himmel standen Sternbilder, die ich nicht einordnen konnte. Ich ließ mich auf dem Boden nieder.
Steh auf, du Narr , traktierte mich der Extrasinn. Kämpfe gegen die Depressionen an. Sie werden vergehen, wenn du nach Li in den Gatusain steigst.
Ich antwortete nicht, blieb sitzen.
Auf die Beine, Khasurn-Großmeister Mascaren da Gonozal!
Ich erhob mich, entnahm meinem Anzug einen Konzentratwürfel, stopfte ihn in den Mund und kaute lustlos darauf herum. Der Abend war gekommen, und ich fürchtete mich vor dem nächsten Tag. Bis dahin lag eine Ewigkeit vor mir. Die Muschel war besetzt. Mit jeder Faser meines Körpers lechzte ich danach, sie zu benutzen. In wie vielen Stunden würde Li ihr entsteigen und Platz für mich machen? Ich rannte hin und her wie ein Tiger in seinem Käfig.
»Sir, ich habe mit Ihnen zu reden, unter vier Augen«, verlangte die Ärztin. »Kommen Sie mit.« Sie führte mich vom Rest der Gruppe weg, bis wir weit außer Hörweite waren. »Es ist unübersehbar, was mit Ihnen los ist. Sie halten es nicht mehr aus, deshalb muss ich zu der medizinischen Maßnahme greifen, die ich als letzten Ausweg sehe.«
Mein Kopf war wie leer. Die Sucht quälte mich. Ich begriff nicht, was Drays meinte, bis sie ihren Schutzanzug öffnete. Sie streifte ihn ab und zog mich zu sich heran. Ich sträubte mich ein wenig, dachte an Decaree Farou.
»Ärztliche Anweisung«, beharrte Cyriane. »Dagegen ist kein Widerspruch zulässig.«
Was blieb mir anderes übrig? Ich fügte mich in mein Schicksal.
Sie gaben das Warten auf, weil die Aussicht auf Hilfe schwand. Nach eingehender Beratung kamen die sechs Männer und die Frau überein, das Beibootwrack zu verlassen und sich auf den Weg zu machen. Sie entschieden sich spontan für eine Richtung, weil jede so gut oder schlecht war wie die andere. Bewaffnet mit Messern und Speeren, ein paar Seilen und den Anzugtaschen voll Konzentraten gingen sie in die Richtung, in der die Flugwesen verschwunden waren. Die Tiere hatten die Menschen gesehen und waren davongeflogen. Zwei leere Behälter wurden mitgenommen, die für Boden- oder Gewebeproben bei Außenmissionen gedacht waren, um unterwegs Trinkwasser zu sammeln.
Nach einer Stunde verließen die gestrandeten Raumfahrer den Bereich, den sie in den Tagen zuvor erkundet hatten, und marschierten durch unbekanntes Terrain. Vor ihnen erstreckte sich eine Ebene, die von hüfthohem Gras bewachsen war. Dutzende unterschiedlicher Blumensorten, deren Farben das ganze Spektrum des Regenbogens wiedergaben, sprenkelten das grüne Feld.
»Ziemlich unübersichtlich«, fand Xenna Reezal, eine blonde Kosmobiologin und die einzige Frau in der Gruppe. »Ich rate zur Vorsicht. Dort drin leben sicher zahlreiche Tierarten, die uns nicht unbedingt alle freundlich gesinnt
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