Atlan TH 0001 – Raumschiff SOL in Not
Funktion einer zweiten Lunge. Solange sich die Weltraummenschen innerhalb einer normalen Atmosphäre aufhielten, atmeten sie auf die gleiche Weise wie alle Menschen. Mit dem Übergang ins Vakuum erlosch dieser Atemreflex völlig. Der Körper wurde allein aus den in der Haut gespeicherten Reserven mit Sauerstoff versorgt. Beide Atemmethoden standen also gleichberechtigt nebeneinander und konnten nicht willkürlich gewechselt werden.
Das bedeutete, dass die Gläsernen einem mit einem Raumanzug ausgerüsteten Menschen in vielen Belangen unterlegen waren. Sie konnten beispielsweise nicht in mit Giften verseuchten Räumen arbeiten oder unter atmosphärischen Bedingungen überleben, die einen normalen Menschen ohne Raumanzug das Leben gekostet hätten. Außerhalb des Vakuums waren sie nicht wesentlich hitze- und kälteempfindlicher als die übrigen Solaner.
Nein, dachte Amer versonnen, die Buhrlo-Haut war alles andere als ein perfekter Schutz.
Der Hornpanzer eines Gläsernen nutzte sich außerdem sehr schnell ab – länger als vierundzwanzig Stunden vermochte er seinen Besitzer im Vakuum nicht zu schützen. Bereits vor Ablauf dieser Zeitspanne begannen die obersten Zellschichten spröde zu werden. Ehe die äußerste Schicht jedoch zerfiel, bewirkte der Druckverlust, dass sich die tiefer gelegenen Poren auf die gleiche Weise schlossen. Sobald die Auflösung an der untersten Keimschicht anlangte, war der betroffene Buhrlo zum Tode verurteilt.
Weltraummenschen, die dagegen rechtzeitig in die SOL zurückkehrten, verloren die äußere Hornschicht, und ihr Körper leuchtete in frischem Glanz. Diese Vorstellung bereitete Amer einiges Vergnügen. Die Rückkehr an Bord war stets vergleichbar mit einer Art Erneuerung, einer Wiedergeburt.
Kartron Amer wurde gezwungen, sich wieder den äußeren Gegebenheiten zu widmen, denn er spürte jetzt die Masse des unbekannten Objekts auf sich einwirken. Von den drei Beibooten der SOL war nichts mehr zu sehen. Sie waren in einer der zahlreichen stählernen Schluchten verschwunden. Vermutlich hatten die Pyrriden und ihre Begleiter bereits mit der Erkundung des unbekannten Flugkörpers begonnen. Amer zweifelte keinen Augenblick daran, dass diese Solaner bewaffnet waren. Die Pyrriden in erster Linie mit ihren gefährlichen Neuropeitschen. Für den Fall, dass es an Bord der riesigen Station Lebewesen gab, waren gewaltsame Auseinandersetzungen bereits vorprogrammiert. Diese Vorstellung vergrößerte die Abneigung noch, die Amer gegen die SOLAG hegte.
Die Anziehungskraft des Objekts war nicht so stark, als dass die drei Buhrlos sie mit ihren Flugaggregaten nicht hätten ausgleichen können. Amer, Monk und Shia Deen landeten ohne Schwierigkeiten.
Der Totalausfall von SENECA hatte sich vor 146 Jahren ereignet, und an den Bemühungen gemessen, die Deccons Vorgänger zur Behebung des Schadens aufgewendet hatten, schien es zweifelhaft, dass eine Reparatur ausgerechnet während seiner Amtszeit gelingen würde. Allerdings stand ihm mit Bit eine Expertin zur Verfügung, die über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügte.
»Wir könnten folgenden Versuch machen«, schlug er der jungen Frau vor: »Ich stelle einen Kontakt mit SENECA her, und du hältst dich als Beobachterin im Hintergrund.«
»Es ist in jedem Fall gefährlich«, wandte sie ein. »SENECA verfügt über ein Netz, das wir nicht in allen Einzelheiten kennen. Er bezieht seine Informationen aus so vielen Quellen, dass seine Präsenz nur als umfassend bezeichnet werden kann. Unter diesen Aspekten grenzt es fast an ein Wunder, dass es bisher noch nicht zu tragischen Zwischenfällen gekommen ist. Ich nehme an, SENECA hält sich zurück. Er ist noch immer in der Lage, die funktionellen Störungen zu kompensieren, aber ich glaube, dass er dazu einen immer größeren Aufwand betreiben muss. Wenn wir ihn davon ablenken, kann das das Ende der SOL bedeuten.«
»Woher willst du das wissen?«, erkundigte sich Deccon unwillig.
»Ich weiß es nicht – ich ... spüre es«, sagte sie.
Deccon trat dicht vor sie, und obwohl sie ziemlich groß war, überragte er sie noch um ein gutes Stück. Er packte sie an den Oberarmen und erschrak unwillkürlich darüber, wie zerbrechlich sie sich anfühlte. Sofort milderte er seinen Griff und sagte halbwegs entschuldigend: »Ich glaube nicht an diesen Unsinn von einem paranormalen Einfühlungsvermögen in eine Positronik.« Sie senkte den Kopf.
»Ich habe niemals behauptet, dass ich zu so etwas in der Lage
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