Atlan TH 0003 – Der Katzer
einer Philosophie nach, deren Voraussetzungen für meine Begriffe schlichtweg falsch sind.
Auch Gavro Yaal gehört dazu. Er hat schon immer einen kompromissloseren Kurs vertreten als ich. Die Zahl seiner Anhänger wird in dem Maß steigen, in dem mein eigener Einfluss nun, nachdem die Solgeborenen keinen Sprecher mehr brauchen, nachlässt. Es besteht die Gefahr, dass er sich in seinem Bestreben nach der ultimaten Unabhängigkeit der SOL in einen Fanatismus verrennt, der für uns alle existenzbedrohend werden kann.
Ich schreibe diese Zeilen, weil ich glaube, dass es wichtig ist, auch andere Auffassungen und Darstellungen festzuhalten als die, die im offiziellen Logbuch zu finden sind. Ich hoffe, dass man mich und meine Skepsis an der Haltung von Gavro Yaal später besser verstehen wird als heute.
Diesem Buch werde ich meine Gedanken anvertrauen. Ich werde Ereignisse aufzeichnen, die aus meiner Sicht wichtig sind. Es soll eine Art Tagebuch werden, das keine nüchternen Daten enthält, sondern als ein Spiegel persönlicher Anschauungen und Einschätzungen dient. Ich schreibe es nicht allein für mich, sondern vor allem für spätere Generationen, die sich ein Bild über die Geschehnisse an Bord der SOL machen wollen. Und ich hoffe, dass es nach mir jemanden geben wird, der diese Aufzeichnungen weiterführt.
Joscan Hellmut am 24. Dezember 3586
Chart Deccon klappte das Buch zu und sah auf. Im Grunde genommen war er ein einsamer Mensch, einsamer noch, als Joscan Hellmut es damals gewesen war, als er das Logbuch begann. Hellmut hatte immer mit jemandem reden können. Es hatte immer Leute gegeben, die ihn unterstützten, anspornten oder auch kritisierten.
Chart Deccon hatte dagegen niemanden. Er übte seine diktatorische Macht bestenfalls im Verbund mit den zehn Magniden aus. Die überwiegende Mehrzahl der Besatzungsmitglieder kannte nicht einmal seinen Namen.
In Augenblicken wie diesem bedrückte ihn das. Aber er war auch davon überzeugt, dass nur auf die von ihm und den früheren High Sideryts praktizierte Weise die Verhältnisse an Bord halbwegs sicher unter Kontrolle gehalten werden konnten.
Tief ein- und ausatmend strich er sich über die Glatze. Er hatte nicht vorgehabt, mit seinen Gedanken in der Gegenwart zu bleiben. Abermals schob er alles, was mit dem Heute zu tun hatte, beiseite und konzentrierte sich auf das Logbuch. Vor mehr als zweihundert Jahren war es begonnen worden, und tatsächlich hatte es auch nach dem Abtritt Joscan Hellmuts immer Leute gegeben, die die Eintragungen fortgeführt hatten. Auf diese Weise war ein schwerer, dicker Band entstanden, vollgepackt mit Informationen und persönlichen Aufzeichnungen.
Für seine Lektüre wählte Chart Deccon eine Stelle aus, die nur wenige Jahre nach der Übergabe der SOL an die Solaner geschrieben worden war. Aus den zwangsläufig oft knappen Aufzeichnungen des Chronisten versuchte er die Geschichte zu rekonstruieren, wie sie sich damals abgespielt hatte.
2.
Manchmal beruhigt es mich, zu sehen, dass es auch heute noch Leute gibt, die die totale Abkehr von der Außenwelt nicht widerspruchslos hinnehmen. Allerdings wird es von Tag zu Tag gefährlicher, an den Postulaten Gavro Yaals Kritik zu üben. Man treibt sich damit selbst in die Isolation. Deshalb kann ich das, was Perg Ivory vorhat, auch nicht befürworten.
Ich habe lange mit ihm gesprochen, ohne ihn jedoch umstimmen zu können. Was er tun will, hat mit seiner inneren Überzeugung, was die eigentliche Bestimmung der Solaner betrifft, im Grunde genommen nichts zu tun. Schon gar nicht will er damit gegen die Schiffsführung opponieren. Es ist mehr eine Bestätigung seiner selbst, die er braucht, ein Ausleben persönlicher Bedürfnisse, die sich nach so vielen Jahren als Pilot nicht unterdrücken lassen.
Trotzdem bin ich fast sicher, dass Gavro Yaal seine Handlungsweise anders auffassen wird. Er wird sie als Affront ansehen. Wie er darauf reagiert, wage ich jetzt noch nicht zu beurteilen. Im Moment ist nur sicher, dass das Leben für Perg Ivory nach seiner Rückkehr erheblich schwerer sein wird.
Frances Vater hat sich von meinen Bedenken nicht überzeugen lassen. Er wird tun, was er sich vorgenommen hat, selbst wenn er sich damit schadet.
Ich habe ihn gewarnt ...
Joscan Hellmut am 13. Juli 3590
3.
Für Perg Ivory gab es keinen Grund, sich zu verstecken. Die Möglichkeit, dass er auf seinem Weg jemandem begegnete, war um diese Zeit denkbar gering, und wenn es doch geschah, würde er
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