Atlan TH 0004 – Logbuch der SOL
er Atlan gegenüberstand. »Die Entscheidung darüber treffe jedoch ich – niemand sonst.«
Sie verließen die Klause durch die Geheimtür. Atlan hatte inzwischen eine der schlichten, dunkelblauen Ferraten-Uniformen erhalten, die ihm wesentlich mehr Bewegungsfreiheit verschaffte als der doch etwas hinderliche Raumanzug.
Die Tatsache, dass Chart Deccon ihn durch einen Ausgang führte, der bisher nur ihm allein bekannt war, weckte sofort den Argwohn des Arkoniden. Er glaubte nicht an die Aufrichtigkeit des High Sideryt. Wahrscheinlich heckte er bereits Pläne aus, wie er den Unsterblichen wieder loswerden konnte. Zu gegebener Zeit würde Atlan sich darauf einstellen müssen. Noch bestand jedoch keine Gefahr für ihn – noch wurde er gebraucht.
Immer tiefer drangen die beiden Männer in Bereiche der SOL vor, die seit Jahrzehnten oder länger nicht mehr von Menschen betreten worden waren. Selbst Wartungs- und Reinigungsroboter schienen hier keinen Zutritt zu haben.
Auf dem Boden der Korridore lagerte eine zentimeterdicke Staubschicht, die bei jedem Schritt hochgewirbelt wurde und die Schleimhäute reizte. Die Bildscheiben der Interkomanschlüsse, die sich in bestimmten Abständen in den Wänden befanden, waren blind, und die Beleuchtungskörper verbreiteten nur mäßiges, trübes Licht.
»Das alles sieht nicht sehr vertrauenerweckend aus«, sagte Atlan. Dumpf hallte seine Stimme wider. »Bist du sicher, dass die Anlagen noch ordnungsgemäß funktionieren?«
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Chart Deccon wortkarg. »Wir werden es herausfinden.«
Der Arkonide nickte bedrückt. Die Ruhebehälter wurden von SENECA gesteuert und gewartet. Infolge der Funktionsstörung musste man damit rechnen, dass die zentrale Überwachung längst nicht mehr sichergestellt war. Insgeheim kalkulierte Atlan die Möglichkeit ein, dass sie in den Schlafkammern nur noch mumifizierte Leichen vorfinden würden.
Sie näherten sich einem Schott, das einige Meter weiter den Gang versperrte. Instinktiv wusste Atlan, dass sich dahinter der Raum mit den Schläfern befand. Er merkte, wie seine Augen feucht wurden und sein Herz schneller zu schlagen begann. Die Lebenserfahrung, die er besaß, maß sich in Jahrtausenden – dennoch meinte er eine Aura des Unheimlichen und Geheimnisvollen zu spüren, die ihn umschlang und ihn in ihren Bann zog. Er kam nicht davon los. Mit jedem Schritt verstärkte sie sich.
Vor dem Schott blieben sie stehen. Chart Deccon legte die Innenfläche einer Hand auf das Wärmeschloss.
Zu beider Überraschung reagierte die Automatik sofort. Auf einem kleinen Bildschirm flammte eine Leuchtschrift auf, die in der düsteren Umgebung grell in die Augen stach.
BITTE BERECHTIGUNG NACHWEISEN.
»Chart Deccon«, sagte der Bruder ohne Wertigkeit, »High Sideryt der SOLAG. Ein Begleiter.«
Die einwandfrei funktionierende Personalüberprüfung ließ Atlan wieder Hoffnung schöpfen, dass auch die Schlafkammern über die Jahrhunderte hinweg in brauchbarem Zustand gehalten worden waren.
Die Identifizierung anhand des Lautmusters der Stimme und der ertasteten Gehirnwellenfrequenz nahm keine Sekunde in Anspruch. Abermals leuchtete die Schrift auf.
ZUTRITT GESTATTET.
Mit schleifendem Geräusch schoben sich die Hälften des Schottes auseinander und gaben den Blick in den angrenzenden Raum frei.
Atlans eben erst gehegte Hoffnung stürzte zusammen wie eine morsche Holzhütte, die vom Blitz getroffen wurde.
Zögerlich und von Zweifeln geplagt, traten sie durch den Eingang.
Der Raum war niedrig und lang gestreckt. Links erkannten sie eine bis auf ein einzelnes, staubbedecktes Bedienungselement kahle Wand. Zur Rechten befanden sich, nebeneinander aufgereiht, die Schlaftanks – durch das schwarze und völlig undurchsichtige Material ähnelten sie verschlossenen Särgen. Von zehn an der Decke angebrachten Leuchtplatten funktionierte nur eine, die zudem unregelmäßig flackerte und die bedrückende, grabesähnliche Atmosphäre noch unterstrich. Es war kalt und still.
Kurz schloss Atlan die Augen. Nur mühsam unterdrückte er ein Zittern.
Das ist kein Raum, in dem Menschen am Leben erhalten werden, dachte er entsetzt. Das ist eine Gruft.
Du lässt dich von Äußerlichkeiten beeindrucken und von irrationalen Gefühlen lenken!
Der Impuls des Extrasinns verhalf dem Arkoniden schlagartig zu größerer Nüchternheit. Wie üblich hatte der Logiksektor recht. Er konnte nicht erwarten, hier Kontrollinstrumente oder sonstige
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