Atlan TH 0004 – Logbuch der SOL
evolutionäre Minderheit missachtet und verfolgt werden. Ich werde alles tun, dem entgegenzuwirken, wobei ich mich vorerst hauptsächlich um die Halbbuhrlos kümmern muss, die im Moment am meisten gefährdet sind. Teilweise werden sie von den anderen bereits geschnitten – und das muss aufhören!
Große Hilfe bei meinen Plänen darf ich natürlich nicht erwarten. Die wenigen Leute, die ich als echte Freunde bezeichnen konnte, werden mich nicht mehr unterstützen können. Sie wurden vorhin in SENECAS Überlebenskammern gebracht und in den Tiefschlaf versetzt.
Wenn es nach Cleton Weisel geht, bleiben sie für immer dort. Ich kann nur hoffen, dass seine Rechnung nicht aufgeht. Vielleicht tritt schon bald tatsächlich eine Situation ein, in der die Fähigkeiten der fünf dringend gebraucht werden. Dann ist er gezwungen, sie aufzuwecken, wenn er sich nicht unglaubwürdig machen will.
Dann erst können sie etwas für sich tun und allen Solanern berichten, wie gewissenlos sie hintergangen wurden.
Darauf warte ich – auf die Stunde der Schläfer.
Douc Langur am 14. Mai 3608.
14.
Erschüttert klappte Atlan das Logbuch zu. Seine Augen waren feucht vor Erregung. Seit dem Tag, an dem der Forscher der Kaiserin von Therm damit begonnen hatte, anstelle Joscan Hellmuts die Aufzeichnungen fortzuführen, waren fast 183 Jahre vergangen. In all der Zeit waren die Schläfer nicht geweckt worden – Cleton Weisels hinterlistiger Plan war voll und ganz aufgegangen. In aller Ruhe und ohne störende Einflüsse hatte er seine Macht weiter ausgebaut und gefestigt, und aus der eher locker zusammengefügten Arge SOL war das starre Kastensystem der SOLAG geworden.
Aber Gedanken über gesellschaftliche Fehlentwicklungen, die der Vergangenheit angehörten, passten nicht hierher. Es gab dringendere Probleme, und Atlan wusste das. Er sah zu dem Podest hinauf, wo Chart Deccon auf seine Reaktion wartete.
»Ist dir eigentlich klar«, fragte er beinahe anklagend, »welch große Bedeutung die Schläfer für die SOL haben? Sie hätten längst geweckt werden müssen.«
»Bisher bestand keine Veranlassung dazu«, meinte der High Sideryt abweisend. »Mit unseren Problemen sind wir immer noch allein fertig geworden.«
Der Arkonide legte das Logbuch in die Elfenbeinschatulle zurück und klappte den Behälter zu. Unwillig schüttelte er den Kopf.
»Du belügst dich selbst. Das beste Beispiel dafür ist, dass SENECA seit Jahren in seiner Funktion gestört ist. Einer der Schläfer, nämlich Joscan Hellmut, ist ein hervorragender Kybernetiker und kennt sich mit der Bioinpotronik aus wie kein Zweiter. Ich bin überzeugt, dass sie bereits wieder in Ordnung wäre, wenn er sich darum hätte kümmern können.«
Der Bruder ohne Wertigkeit blieb ruhig auf seinem Thron sitzen.
»Du traust einer einzelnen Person viel zu«, sagte er zweifelnd. »Auch in den Reihen der SOLAG gibt es exzellente Kybernetiker. Sie alle haben sich an SENECA die Zähne ausgebissen. Warum sollte es deinem Freund Joscan anders ergehen? Auch wenn sich mit den Jahrzehnten ein Mythos um die Schläfer gebildet hat – sie sind schließlich keine Übermenschen. Du weißt das ebenso gut wie ich.«
Chart Deccons übertriebene Geringschätzung reizte den Arkoniden. Seit er wusste, wer sich hinter den Schläfern verbarg, war er begierig danach, mit ihnen in Kontakt zu kommen.
»Immerhin sind es Leute mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, die entscheidend dazu beitragen können, die SOL zu retten.« Er redete sich förmlich in Rage. »Bjo Breiskoll ist Telepath und Kosmo-Spürer; er ist in der Lage, wichtige Dinge weit im Voraus zu ahnen und sein Verhalten danach auszurichten. Sternfeuer ist eine symbiotische Mutantin und steht dem Katzer wahrscheinlich in nichts nach. Durch den jahrelangen Kontakt mit ihm hat sie seine Fähigkeiten ebenfalls erlernt. Federspiel kann dadurch, dass er mit seiner Schwester in ständiger geistiger Verbindung bleibt, wichtige Ereignisse, die sich an anderen Orten zutragen, mitverfolgen und ...«
»Atlan!« Der High Sideryt unterbrach ihn mit schneidender Stimme. »Das alles ist mir bekannt! Ich habe das Logbuch ebenfalls gelesen!«
Der Unsterbliche ließ sich in seinem Eifer jedoch nicht bremsen.
»Worauf wartest du dann noch?«, rief er wütend. »Die Schläfer müssen geweckt werden, und zwar sofort!«
Chart Deccon lächelte betont freundlich, während er langsam und gelassen die Stufen des Podests hinabstieg.
»Genau das habe ich vor«, sagte er, als
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