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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Bobby
    Wochen vergingen, ohne dass Post kam - jedenfalls keine für ihn -, und dann lag wieder ein Kuvert mit Herzen und Teddybären hinten drauf im Briefkasten, darin ein weiteres Blatt Büttenpapier mit neuen Mitteilungen übers Schlittschuhlaufen und Stöckewirbeln, über neue Schuhe und darüber,
dass sie immer noch Probleme mit dem Bruchrechnen hatte. Jeder Brief war wie ein weiterer mühsamer Atemzug eines geliebten Menschen, dessen Tod nun unausweichlich zu sein schien. Ein weiterer Atemzug.
    Sogar Sully-John schrieb ihm ein paar Briefe. Der letzte kam Anfang 1961, aber Bobby war erstaunt und gerührt, dass Sully es überhaupt versucht hatte. In S-Js kindlicher großer Handschrift und seinen peinlichen Rechtschreibfehlern sah Bobby bereits den gutherzigen Teenager von morgen, der mit demselben Vergnügen Sport trieb, wie er Cheerleader flachlegte, einen Jungen, der sich mit derselben Mühelosigkeit im Dickicht der Zeichensetzung verirrte, mit der er sich durch die Abwehrreihen gegnerischer Football-Teams schlängelte. Bobby glaubte sogar den Mann sehen zu können, der in den Siebzigern und Achtzigern auf Sully wartete, wie man auf ein Taxi wartet: einen Autoverkäufer, der irgendwann sein eigenes Geschäft besitzen würde. Und es würde natürlich Honest John’s Harwich Chevrolet heißen, das Chevrolet-Autohaus des ehrlichen John. Er würde einen dicken Bauch haben, der ihm über den Gürtel hing, an den Wänden seines Büros würden jede Menge Plaketten hängen, und er würde junge Sportler trainieren und seine aufmunternden Worte jedes Mal mit Jetzt hört mal alle her, Jungs einleiten, er würde zur Kirche gehen, bei Umzügen mitmarschieren, im Stadtrat sitzen und so weiter. Es würde ein gutes Leben sein, dachte Bobby - die Farm und die Kaninchen statt des Stocks, der an beiden Enden angespitzt war. Aber wie sich herausstellte, wartete der Stock doch noch auf Sully; er wartete in der Provinz Dong Ha, zusammen mit der alten mamasan, und die würde nie ganz verschwinden.

     
    Bobby war vierzehn, als der Cop ihn dabei erwischte, wie er mit zwei Sechserpacks Bier (Narragansett) und drei Stangen Zigaretten (Chesterfields natürlich; aus einundzwanzig Spitzentabaken zwanzig wundervolle Zigaretten) aus dem Tante-Emma-Laden kam. Das war der blonde Cop aus Das Dorf der Verdammten .
    Bobby erzählte dem Cop, er habe nicht eingebrochen, die Hintertür sei offen gewesen und er sei einfach reingegangen , aber als der Cop seine Taschenlampe auf das Schloss richtete, hing es schief und halb herausgestemmt in dem alten Holz. Und was ist damit?, fragte der Cop, und Bobby zuckte die Achseln. Als sie in dem Wagen saßen (der Cop ließ Bobby vorn neben ihm sitzen, wollte ihm aber keine Zigarette geben, als Bobby um eine bat), begann der Cop, ein Formular auf einem Klemmbrett auszufüllen. Er fragte den mürrischen, mageren Jungen neben ihm, wie er heiße. Ralph, sagte Bobby. Ralph Garfield. Doch als sie vor dem Haus hielten, in dem er jetzt mit seiner Mutter wohnte - ein ganzes Haus mit zwei Stockwerken, es waren gute Zeiten -, erklärte er dem Cop, er habe gelogen.
    »In Wahrheit heiße ich Jack«, sagte er.
    »Ach ja?«, erwiderte der blonde Dorf-der-Verdammten-Cop .
    »Ja.« Bobby nickte. »Jack Merridew Garfield. Das bin ich.«
     
    Carol Gerbers spärlicher Briefstrom versiegte 1963, in dem Jahr, als Bobby zum ersten Mal von der Schule flog und zum ersten Mal die Jugendstrafanstalt von Bedford in Massachusetts von innen sah. Der Grund für diesen Besuch war der Besitz von fünf Marihuanazigaretten, »Joysticks«, wie
Bobby und seine Freunde sie nannten. Bobby bekam neunzig Tage aufgebrummt, von denen ihm die letzten dreißig wegen guter Führung erlassen wurden. Er las eine Menge Bücher. Manche der anderen Jugendlichen nannten ihn Professor. Bobby hatte nichts dagegen.
    Nach seiner Entlassung aus Bedford kam Officer Grandelle - der für jugendliche Straftäter zuständige Polizist von Danvers - vorbei und erkundigte sich, ob Bobby nun bereit sei, mit dem Unfug aufzuhören und sich anständig zu benehmen. Bobby bejahte und sagte, er habe seine Lektion gelernt, und für eine Weile schien das auch zu stimmen. Dann verprügelte er im Herbst des Jahres 1964 einen Jungen so schlimm, dass dieser ins Krankenhaus musste und es fraglich war, ob er jemals wieder ganz gesund werden würde. Der Junge hatte sich geweigert, Bobby seine Gitarre zu geben, und darum hatte Bobby ihn zusammengeschlagen und sie ihm abgenommen. Als die

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