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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Polizei kam, spielte Bobby gerade in seinem Zimmer auf der Gitarre (nicht sehr gut). Er hatte Liz erzählt, er habe sich die akustische Silvertone in einer Pfandleihe gekauft.
    Liz stand weinend in der Tür, als Officer Grandelle Bobby zum Streifenwagen führte, der am Randstein stand. »Wenn du nicht damit aufhörst, schmeiß ich dich raus!«, rief sie ihm nach. »Das ist mein Ernst!«
    »Von mir aus«, sagte er, als er hinten einstieg. »Nur zu, Ma, tu’s gleich, das spart uns Zeit.«
    Auf der Fahrt in die Innenstadt sagte Officer Grandelle: »Ich dachte, du würdest mit dem Unfug aufhören und dich anständig benehmen, Bobby.«
    »Ich auch«, sagte Bobby. Diesmal blieb er sechs Monate in Bedford.

     
    Bei seiner Entlassung ließ er sich das Geld für die Bahnfahrkarte auszahlen und trampte nach Hause. Als er die Tür aufschloss, kam seine Mutter nicht heraus, um ihn zu begrüßen. »Da ist ein Brief für dich gekommen«, sagte sie aus ihrem abgedunkelten Schlafzimmer. »Er liegt auf deinem Schreibtisch.«
    Bobbys Herz begann, heftig gegen seine Rippen zu klopfen, sobald er das Kuvert sah. Es waren keine Herzen und Teddybären mehr drauf - dafür war sie jetzt zu alt -, aber er erkannte Carols Handschrift sofort. Er nahm den Brief in die Hand und riss ihn auf. Er enthielt ein einzelnes Blatt Büttenpapier und einen weiteren, kleineren Umschlag. Bobby las rasch Carols Nachricht, die letzte, die er je von ihr erhalten sollte.
    Lieber Bobby,
    wie geht es dir? Mir geht es gut. Du hast etwas von deinem alten Freund bekommen - von dem, der damals meinen Arm eingerenkt hat. Es ist an mich gegangen, vermutlich weil er nicht gewusst hat, wo du bist. Er hat eine Nachricht beigelegt und mich gebeten, es dir nachzuschicken. Was ich hiermit tue. Sag deiner Mutter einen schönen Gruß von mir.
    Nichts über ihre Fortschritte beim Stöckewirbeln. Auch nichts darüber, wie sie in Mathe zurechtkam. Auch nichts über Jungs, aber Bobby nahm an, dass sie ein paar Freunde gehabt hatte.
    Mit zitternden, tauben Händen ergriff er den verschlossenen Umschlag. Sein Herz klopfte heftiger denn je. Auf der
Vorderseite stand ein einziges Wort, mit weichem Bleistift geschrieben: sein Name. Es war Teds Schrift. Er erkannte sie sofort. Mit trockenem Mund und ohne zu merken, dass seine Augen sich mit Tränen gefüllt hatten, riss Bobby den Umschlag auf, der nicht größer war als jene, in denen Kinder in der ersten Klasse ihre Valentinsgrüße verschicken.
    Als Erstes kam der süßeste Duft heraus, den Bobby je gerochen hatte. Er erinnerte ihn daran, wie er seine Mutter umarmt hatte, als er noch klein gewesen war, an den Geruch ihres Parfüms und Deodorants und des Zeugs, das sie sich in die Haare sprühte; erinnerte ihn daran, wie es im Sommer im Commonwealth Park roch; erinnerte ihn an den Geruch der Bücherregale in der Bibliothek von Harwich, würzig und undeutlich und irgendwie explosiv. Die Augen liefen ihm über, und die Tränen rannen ihm die Wangen hinab. Er hatte sich daran gewöhnt, dass er sich alt fühlte; sich wieder jung zu fühlen - zu wissen, dass er sich wieder jung fühlen konnte -, war ein schrecklicher, verwirrender Schock.
    In dem Umschlag war kein Brief, keine Nachricht, überhaupt nichts Schriftliches. Als Bobby ihn umdrehte, rieselten Rosenblätter vom tiefsten, dunkelsten Rot, das er je gesehen hatte, auf seinen Schreibtisch hinab.
    Herzblut, dachte er verzückt, ohne zu wissen, warum. Auf einmal - und zum ersten Mal seit Jahren - erinnerte er sich daran, wie man seinen Geist abwenden, ihm einen Kurzurlaub gewähren konnte. Und noch während er daran dachte, spürte er, wie seine Gedanken emporstiegen. Die Rosenblätter glommen auf der zerschundenen Fläche seines Schreibtischs wie Rubine, wie geheimes Licht, das sich aus dem geheimen Herzen der Welt ergoss.

    Nicht bloß einer Welt, dachte Bobby. Nicht bloß einer. Es gibt noch andere Welten als diese, Millionen Welten, und alle drehen sie sich auf der Spindel des Turms.
    Und dann dachte er: Er ist ihnen wieder entwischt. Er ist wieder frei.
    Die Rosenblätter ließen keinen Raum für Zweifel. Sie waren alles Ja, was man nur verlangen konnte; alles Du Darfst, alles Du Kannst, alles Es Ist Wahr.
    Erst in Eile, dann mit Weile, dachte Bobby. Er wusste, dass er diese Worte schon einmal gehört hatte, konnte sich aber nicht entsinnen, wo, und wusste auch nicht, weshalb sie ihm jetzt wieder eingefallen waren. Es war ihm auch egal.
    Ted war frei. Nicht in dieser Welt und

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