Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
südchinesischen Meer gekommen. Hugh hatte für Peaceniks nichts übrig. Als Goldwater-Republikaner hätte ich genauso empfinden sollen, aber Nate übte allmählich einen gewissen Einfluss
auf mich aus. Ich besaß alles mögliche Fertigwissen, hatte aber keine echten Argumente für den Krieg … und auch keine Zeit, mir welche zu erarbeiten. Ich hatte so viel um die Ohren, dass ich mich nicht mal meinem Soziologiestudium widmen konnte, geschweige denn nebenher amerikanische Außenpolitik büffeln.
    Ich bin mir ziemlich sicher, das war der Abend, an dem ich beinahe Annmarie Soucie angerufen hätte. Die Telefonzelle gegenüber vom Aufenthaltsraum war leer, ich hatte einen Haufen Kleingeld von meinem letzten Sieg in den Hearts-Kriegen in der Tasche, und ich beschloss plötzlich, dass es jetzt so weit war. Ich wählte ihre Nummer aus dem Gedächtnis (obwohl ich einen Moment lang über die letzten vier Ziffern nachdenken musste - 8146 oder 8164?) und steckte drei Vierteldollarmünzen ein, als der Operator mich dazu aufforderte. Ich ließ das Telefon einmal klingeln, knallte den Hörer dann laut auf die Gabel und holte meine Vierteldollar wieder heraus, als ich sie im Ausgabeschacht klimpern hörte.

18
    Ein oder zwei Tage später - kurz vor Halloween - besorgte sich Nate eine Platte von einem Burschen, von dem ich vorher nur vage gehört hatte: Phil Ochs. Ein Folkie, aber keiner von den Banjo-Zupfgeigenhanseln, die normalerweise in Hootenanny auftraten. Die Plattenhülle, auf der ein zerknitterter Troubadour zu sehen war, der auf einem Randstein in New York City saß, passte so gar nicht zu den Hüllen von Nates anderen Platten - Dean Martin, leicht
angeschickert im Smoking, Mitch Miller mit seinem Mitsing-Lächeln, Diane Renee mit ihrer Matrosenbluse und der kecken Matrosenmütze. Die Platte von Ochs hieß I Ain’t Marchin’ Anymore - ich marschiere nicht mehr -, und Nate spielte sie häufig, als die Tage kürzer und kalt wurden. Ich fing an, sie selbst zu spielen, und Nate schien nichts dagegen zu haben.
    In Ochs’ Stimme war so etwas wie ein verwirrter Zorn. Ich glaube, ich mochte sie, weil ich die meiste Zeit selber verwirrt war. Er ähnelte Dylan, war aber weniger kompliziert in seinem Ausdruck und klarer in seinem Zorn. Der beste Song auf der Platte - und der beunruhigendste - war der Titelsong. Darin deutete Ochs nicht nur zart an, sondern sagte laut und deutlich, dass der Krieg sich nicht lohne, dass Krieg sich nie lohne. Selbst wenn er sich lohnte, lohnte er sich nicht. Zusammen mit dem Bild von jungen Männern, die zu Tausenden und Zehntausenden Lyndon und seine Vietnam-Obsession einfach ignorierten und weggingen, regte dieser Gedanke meine Fantasie auf eine Weise an, die nichts mit Geschichte, Politik oder rationalem Denken zu tun hatte. I must have killed a million men and now they want me back again, but I ain’t marchin anymore, tönte Phil Ochs aus dem Lautsprecher von Nates schickem kleinem Swingline-Plattenspieler. Ich habe bestimmt eine Million Menschen getötet, und jetzt wollen sie, dass ich wieder damit anfange, aber ich marschiere nicht mehr. Mit anderen Worten: Hört einfach auf damit! Hört auf zu tun, was sie sagen, hört auf zu tun, was sie wollen, hört auf, ihr Spiel zu spielen. Es ist ein altes Spiel, und bei diesem Spiel jagt die Schlampe euch .
    Und vielleicht sollte man zum Zeichen dafür, dass man es ernst meinte, ein Symbol des Widerstands tragen - etwas,
worüber andere sich erst wundern und dem sie sich dann vielleicht anschließen werden. Ein paar Tage nach Halloween zeigte uns Nate Hoppenstand, was dieses Symbol sein würde. Es fing mit einer dieser zerknüllten, im Aufenthaltsraum im zweiten Stock liegen gebliebenen Zeitungen an.

19
    »Himmel, Arsch und Zwirn, seht euch das an«, sagte Billy Marchant.
    Harvey Twiller mischte gerade die Karten an Billys Tisch, Lennie Doria rechnete den aktuellen Spielstand aus, und Billy nutzte die Gelegenheit, rasch den Lokalteil der News zu überfliegen. Kirby McClendon - unrasiert, groß und nervös, schon längst auf dem Weg zu seiner Verabredung mit all den Kinderaspirintabletten - beugte sich vor, um ebenfalls einen Blick in das Blatt zu werfen.
    Billy wich vor ihm zurück und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. »Heilige Muttergottes, Kirb, wann hast du denn zum letzten Mal geduscht? Am Anfang des Semesters? Oder am Unabhängigkeitstag?«
    »Lass mal sehen«, sagte Kirby, ohne ihn zu beachten. Er riss ihm die Zeitung aus der

Weitere Kostenlose Bücher