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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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fanden die Überreste im Aufenthaltsraum, wenn wir unsere Plätze für die abendliche Hearts-Sitzung einnahmen. Die Seiten waren zerrissen und zerfleddert, das Kreuzworträtsel von drei oder vier verschiedenen Händen ausgefüllt. Lyndon Johnson, Ramsey Clark und Martin Luther King hatten auf den gerasterten Fotos Tintenschnurrbärte bekommen (jemand - ich fand nie heraus, wer - setzte Vizepräsident Humphrey regelmäßig große rauchende Hörner auf und schrieb in winzigen, pingeligen Druckbuchstaben HUBERT DER TEUFEL darunter). Die News gehörte zu den Falken, was den Krieg betraf; sie stellte die täglichen militärischen Ereignisse möglichst positiv dar und verbannte alle Nachrichten über Proteste in die Tiefen der Innenseiten … normalerweise unter den örtlichen Veranstaltungskalender.
    Dennoch ertappten wir uns immer öfter dabei, dass wir nicht über Filme, Verabredungen oder Kurse diskutierten, während die Karten gemischt und ausgeteilt wurden; immer häufiger ging es um Vietnam. Ganz gleich, wie gut die Nachrichten waren oder wie viele Vietcong-Soldaten ins Gras gebissen hatten, es schien immer mindestens ein Bild dabei zu sein, das mit dem Tode ringende amerikanische Soldaten nach einem Überfall zeigte, oder weinende vietnamesische Kinder, die zusahen, wie ihr Dorf in Flammen aufging. Ganz weit unten in der »täglichen Leichenkolumne«,
wie Skip sie nannte, verbarg sich stets irgendein beunruhigendes Detail, wie die Sache mit den Kindern, die umkamen, als wir die Patrouillenboote des Vietcong im Delta unter Feuer nahmen.
    Nate spielte natürlich nicht Karten. Er wollte auch nicht über das Pro und Contra des Krieges diskutieren - ich glaube, er wusste ebenso wenig wie ich, dass Vietnam früher einmal eine französische Kolonie gewesen war oder was mit den Monsieurs geschehen war, die das Pech gehabt hatten, 1954 in der befestigten Stadt Dien Bien Phu zu sein, geschweige denn, wer wohl entschieden haben mochte, dass es für Präsident Diem an der Zeit war, in das große Reisfeld im Himmel einzugehen, sodass Nguyen Cao Ky und die Generäle die Macht übernehmen konnten. Nate wusste nur, dass er keinen Streit mit diesen Congs hatte und dass sie in der unmittelbaren Zukunft nicht auf Mars Hill oder Presque Isle stehen würden.
    »Hast du noch nie was von der Dominotheorie gehört, du Schwachkopf?«, fragte ein vorlauter kleiner Freshman namens Nicholas Prouty Nate eines Nachmittags. Mein Zimmergenosse kam jetzt nur noch selten in den Aufenthaltsraum im zweiten Stock; er zog den ruhigeren im ersten Stock vor, aber an diesem Tag hatte er für ein paar Minuten vorbeigeschaut.
    Nate sah Nick Prouty an, Sohn eines Hummerfischers und mittlerweile ein devoter Jünger von Ronnie Malenfant, und seufzte. »Wenn jemand Dominosteine rausholt, gehe ich. Ich finde das Spiel langweilig. Das ist meine Dominotheorie.« Er warf mir einen Blick zu. Ich schaute so schnell weg, wie ich konnte, aber nicht schnell genug; die Botschaft kam trotzdem bei mir an: Was, zum Teufel, ist los mit dir?
Dann ging er hinaus und schlurfte mit seinen fusseligen Pantoffeln zum Zimmer 302 zurück, um noch ein bisschen zu lernen - mit anderen Worten, um seinen vorgezeichneten Kurs vom Einführungsseminar Zahnmedizin zum Zahnmedizin-Hauptstudium weiterzuverfolgen.
    »Riley, dein Zimmergenosse ist ein verkorkstes Arschloch, weißt du das?«, sagte Ronnie. Er hatte sich eine Zigarette in den Mundwinkel gesteckt. Jetzt riss er mit einer Hand ein Streichholz an, eine Spezialität von ihm - College-Jungs, die zu hässlich und zu aggressiv sind, um Mädchen zu kriegen, haben alle möglichen Spezialitäten -, und zündete sie an.
    Nein, Mann, dachte ich, Nate ist in Ordnung. Wir sind die verkorksten Arschlöcher. Eine Sekunde lang verspürte ich echte Verzweiflung. In dieser Sekunde erkannte ich, dass ich in einer schrecklichen Bredouille steckte und nicht die geringste Ahnung hatte, wie ich da je wieder herauskommen sollte. Ich merkte, dass Skip mich ansah, und mir ging durch den Kopf, dass Skip sich mir anschließen würde, wenn ich die Karten nahm, sie Ronnie ins Gesicht warf und den Raum verließ. Wahrscheinlich voller Erleichterung. Dann verging das Gefühl. Es verging so rasch, wie es gekommen war.
    »Nate ist in Ordnung«, sagte ich. »Er hat ein paar komische Ideen, das ist alles.«
    »Ein paar komische kommunistische Ideen hat er«, sagte Hugh Brennan. Sein älterer Bruder war bei der Navy, und sein bisher letztes Lebenszeichen war aus dem

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