Atlantis
ich den matten Umriss des Schrankkoffers in seinen Händen und sein rundes Gesicht, das zu mir hochschaute.
»Frank, was ist mit der Wehrpflicht? Wenn du vom College abgehst, werden sie dich einberufen!«
Eine lange Pause, als überlegte er, was er darauf erwidern sollte. Er gab mir aber keine Antwort, jedenfalls nicht mit dem Mund. Er antwortete mit den Füßen. Die hallenden Schritte ertönten von Neuem. Ich sah Frank nie wieder.
Ich weiß noch, wie ich erschrocken an der Treppe stand und dachte: Das könnte mir auch passieren … vielleicht passiert’s mir gerade. Dann verdrängte ich den Gedanken.
Der Anblick von Frank mit seinem Schrankkoffer war eine Warnung, entschied ich, und ich würde sie beachten. Ich würde mich bessern. Ich hatte mich treiben lassen, und jetzt wurde es Zeit, dass ich die Düsentriebwerke wieder einschaltete. Doch am anderen Ende des Flurs hörte ich Ronnie mit hämischer Freude brüllen, er sei auf Schlampenjagd, er werde diese Hure schon aus ihrem Versteck scheuchen, und ich beschloss, dass ich heute Abend anfangen
würde, mich zu bessern. Heute Abend war noch früh genug, um diese legendären Düsentriebwerke wieder anzuwerfen. Heute Nachmittag würde ich mein letztes Hearts-Spiel machen. Oder die letzten zwei. Oder vierzig.
15
Erst Jahre später fand ich heraus, was der entscheidende Teil meines letzten Gesprächs mit Frank Stuart gewesen war. Ich hatte ihm erklärt, er könne nicht nach so kurzer Zeit schon so weit im Rückstand sein, und er hatte erwidert, es liege daran, dass er nicht so schnell sei wie andere. Wir irrten uns beide. Es war möglich, binnen kurzer Zeit katastrophal zurückzufallen, und es passierte den Schnellen wie mir, Skip und Mark St. Pierre ebenso wie den zähen Arbeitern. Ganz weit hinten im Kopf müssen wir an dem Gedanken festgehalten haben, dass es uns gelingen würde, abwechselnd zu bummeln und dann wieder einen Spurt einzulegen, so wie die meisten von uns die Highschools unserer schläfrigen Heimatstädte durchlaufen hatten. Aber wie Dearie Dearborn betont hatte, dies war nicht die Highschool.
Wie bereits erwähnt blieben von den zweiunddreißig Studenten, die am Anfang des Wintersemesters auf unserer Etage der Chamberlain gewohnt hatten (dreiunddreißig, wenn man Dearie mitzählt … aber er war immun gegen den Zauber von Hearts), nur dreizehn bis zum Sommersemester. Das heißt aber nicht, dass die neunzehn, die uns verließen, allesamt Dummköpfe gewesen wären; keineswegs. Tatsächlich waren die klügsten Burschen auf Chamberlain
Zwei im Herbst 1966 wahrscheinlich diejenigen, die das Wohnheim wechselten, bevor sie ernsthaft in Gefahr gerieten, vom College zu fliegen. Steve Ogg und Jack Frady, die das Zimmer gleich neben mir und Nate hatten, zogen in der ersten Novemberwoche in die Chadbourne um; auf ihrem gemeinsamen Antrag war die Rede von »Ablenkungen«. Als der Mann von der Zimmervergabe fragte, was für Ablenkungen das seien, sagten sie, das übliche eben - Quasselrunden bis zum frühen Morgen, Attacken aus dem Hinterhalt, bei denen einem Zahnpasta in die Haare geschmiert wurde, Reibungen mit einigen der Jungs. Wie aus einem nachträglichen Einfall heraus setzten sie beide dann noch hinzu, dass sie im Aufenthaltsraum wahrscheinlich ein bisschen zu viel Karten gespielt hätten. Sie hätten gehört, Chad sei eine ruhigere Umgebung, eins der zwei oder drei »Wohnheime für Leute mit Köpfchen« auf dem Campus.
Sie hatten die Frage des Zimmervermittlers erwartet und ihre Antwort so sorgfältig geprobt wie einen mündlichen Vortrag in einem Redekurs. Weder Steve noch Jack wollte, dass dem nahezu endlosen Hearts-Spiel ein Ende gemacht wurde; das hätte ihnen allen möglichen Ärger mit Leuten eingetragen, die fanden, dass sich jeder um seine eigenen Angelegenheiten kümmern sollte. Sie wollten nur weg von Chamberlain Zwei, solange sie noch genug Zeit hatten, ihre Stipendien zu retten.
16
Die schlecht verlaufenen mündlichen Prüfungen und die erfolglosen kleinen Aufsätze waren bloß unerfreuliche Scharmützel. Für Skip und mich und zu viele unserer Kartenspielerfreunde war die zweite Vorprüfungsrunde ein komplettes Desaster. Ich bekam ein A minus in meiner Englisch-Klausur und ein D in europäischer Geschichte, verhaute jedoch die Multiple-Choice-Tests in Soziologie und Geologie - Soziologie nur knapp, Geologie mit Karacho. Skip versiebte seine Vorprüfungen in Anthropologie, in Kolonialgeschichte und Soziologie. Im Mathe-Test bekam er ein
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