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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ich, »das weiß ich.« Ich stand auf und umarmte sie. Sie ist an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Bei dem geht es zumindest schnell, aber es ging trotzdem nicht schnell genug. Ich glaube, es geht bei keinem Krebs schnell genug, wenn es jemanden trifft, den man liebt.
    »Aber du musst dich bei deinem Studium ordentlich auf den Hosenboden setzen. Jungen, die sich nicht ordentlich auf den Hosenboden gesetzt haben, sind gestorben.« Sie lächelte. Es lag nicht viel Humor darin. »Wahrscheinlich weißt du das.«
    »Ich hab’s gerüchteweise gehört.«
    »Du wächst immer noch«, sagte sie und legte den Kopf in den Nacken.

    »Glaube ich nicht.«
    »Doch. Mindestens drei Zentimeter seit dem Sommer. Und deine Haare! Warum lässt du dir nicht die Haare schneiden?«
    »Ich mag sie so, wie sie sind.«
    »Sie sind so lang wie die eines Mädchens. Hör auf meinen Rat, Pete, lass dir die Haare schneiden. Achte darauf, dass du anständig aussiehst. Du bist schließlich keiner von diesen Rolling Stones oder Herman’s Hermits.«
    Ich lachte schallend. Ich konnte nicht anders. »Ich überleg’s mir, Mama, okay?«
    »Tu das.« Sie drückte mich noch einmal herzhaft an sich, dann ließ sie mich los. Sie sah müde aus, war aber auch ziemlich schön, wie ich fand. »Jenseits des Ozeans bringen sie Jungen um«, sagte sie. »Anfangs habe ich gedacht, es gäbe einen guten Grund dafür, aber dein Vater meint, es sei verrückt, und ich bin mir gar nicht so sicher, ob er nicht recht hat. Streng dich an! Wenn du ein bisschen Extrageld brauchst für Bücher - oder einen Nachhilfelehrer -, kratzen wir’s schon zusammen.«
    »Danke, Mama. Du bist ein Schatz.«
    »Nein«, sagte sie. »Bloß ein alter Klepper mit müden Beinen. Ich gehe ins Bett.«
    Ich lernte noch eine Stunde, dann begannen sich die Worte vor meinen Augen zu verdoppeln und zu verdreifachen. Ich ging auch ins Bett, konnte aber nicht einschlafen. Jedes Mal, wenn ich wegdriftete, sah ich mich ein Hearts-Blatt aufnehmen und nach Farben sortieren. Schließlich schlug ich die Augen auf und starrte einfach nur an die Decke. Jungen, die sich nicht ordentlich auf den Hosenboden gesetzt haben, sind gestorben, hatte meine Mutter gesagt.
Und Carol hatte mir erklärt, dies sei eine gute Zeit für Mädchen, dafür habe Lyndon Johnson gesorgt.
    Wir jagen die Schlampe!
    Schieben wir nach rechts oder nach links?
    Heilige Scheiße, Riley macht einen Durchmarsch!
    Stimmen in meinem Kopf. Stimmen, die aus der Luft in mich einzusickern schienen.
    Mit dem Spiel aufzuhören war die einzige vernünftige Lösung für meine Probleme, doch obwohl der Aufenthaltsraum im zweiten Stock hundertdreißig Meilen nördlich von dort war, wo ich lag, übte er eine Macht über mich aus, die nur wenig mit gesundem Menschenverstand oder Vernunft zu tun hatte. Ich hatte im Mega-Turnier zwölf Punkte angehäuft; nur Ronnie lag mit fünfzehn noch vor mir. Ich sah einfach nicht, wie ich auf diese zwölf Punkte verzichten, einfach weggehen und diesem Windbeutel Malenfant freie Bahn lassen konnte. Carol hatte mir geholfen, Ronnie aus der richtigen Perspektive zu sehen, als den unangenehmen, engstirnigen Gnom mit der schlechten Haut, der er war. Jetzt, wo sie fort war …
    Ronnie wird auch nicht mehr lange da sein, warf die Stimme der Vernunft ein. Wenn er noch bis zum Ende des Semesters durchhält, ist das ein wahres Wunder. Das weißt du.
    Richtig. Und bis dahin hatte Ronnie nichts weiter als Hearts, oder? Er war ungeschickt, dickbäuchig und dünnarmig; man sah schon den alten Mann in ihm. Mit seiner ständigen Aggressivität versuchte er, zumindest teilweise seine massiven Minderwertigkeitskomplexe zu verbergen. Seine Prahlereien in Bezug auf Mädchen waren lächerlich. Außerdem war er im Grunde nicht besonders klug, im Gegensatz
zu manchen der Jungen, die gegenwärtig Gefahr liefen, durchzurasseln (Skip Kirk zum Beispiel). Soweit ich beurteilen konnte, waren Hearts und leere Angeberei das Einzige, worin Ronnie gut war - warum hielt ich mich also nicht einfach raus und ließ ihn Karten spielen und seine Reden schwingen, solange er noch konnte?
    Weil ich nicht wollte, deshalb. Weil ich ihm das Grinsen von seinem hohlwangigen, pickligen Gesicht wischen und dafür sorgen wollte, dass ihm sein durchdringendes, blökendes Lachen verging. Es war gemein, aber es stimmte. Ich mochte Ronnie am liebsten, wenn er schmollte, wenn ihm die fettigen Haare in die Stirn fielen und er mich mit vorgeschobener Unterlippe böse

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