Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
war achtzehn und hatte in vielerlei Hinsicht mehr Ähnlichkeit mit Nate, als ich zugeben wollte. Ich hatte auch noch nie einen Freund wie Skip gehabt. Skip war furchtlos, jedes zweite Wort war bei ihm »Scheiße« oder »verfickt«, und wenn er im Palast aß, klebten die Blicke der Mädchen förmlich an ihm. Er war ein Mädchenschwarm, wie Ronnie es nur in seinen feuchtesten Träumen sein konnte. Aber es gab auch etwas in Skip, das sich von allen Verankerungen gelöst hatte, etwas wie ein Stück Knochen, das jahrelang harmlos umherwandern und dann das Herz durchbohren oder das Gehirn verstopfen kann. Er wusste es auch. Selbst damals, als die Highschool noch überall an ihm klebte wie eine Nachgeburt, als er noch dachte, er würde es schon irgendwie schaffen, Lehrer und Baseballtrainer zu werden, wusste er es. Und ich liebte ihn. Sein Aussehen, sein Lächeln, die Art, wie er ging und wie er redete. Ich liebte ihn, und ich würde ihn nicht im Stich lassen.
    »Aha«, sagte ich zu Billy, Tony und Hugh. »Ihr wollt also eine Lektion?«
    »Ein Nickel pro Punkt!«, sagte Hugh und lachte wie ein Irrer. Verdammt, er war ein Irrer. »Auf geht’s! Mischen und geben!«
    Gleich darauf hockten wir in der Ecke, rauchten alle vier wie die Schlote und ließen die Karten fliegen. Ich erinnerte mich daran, wie verzweifelt ich über das Ferienwochenende gepaukt hatte; erinnerte mich an die Worte meiner Mutter, dass Jungen, die sich bei ihrem Studium nicht auf den Hosenboden
setzten, in der heutigen Zeit starben. Ich erinnerte mich an diese Dinge, aber sie erschienen mir so fern wie die Nacht mit Carol in meinem Auto, als die Platters »Twilight Time« gesungen hatten.
    Ich blickte einmal auf und sah Stoke Jones im Eingang, wo er auf seinen Krücken lehnte und uns mit seiner üblichen distanzierten Verachtung musterte. Seine schwarzen Haare waren dicker denn je, die Schraubenzieherlocken hingen ihm noch verrückter über die Ohren und lagen noch schwerer auf dem Kragen seines Sweatshirts. Er schniefte permanent, seine Nase tropfte, seine Augen tränten, aber ansonsten wirkte er nicht kranker als vor den Ferien.
    »Stoke!«, sagte ich. »Wie geht’s dir?«
    »Oh, tja, wer weiß«, sagte er. »Vielleicht besser als dir.«
    »Komm rein, Ratz-Fatz, hol dir’nen Melkschemel ran«, tönte Ronnie. »Wir bringen dir das Spiel bei.«
    »Ihr wisst nichts, was ich lernen möchte«, erwiderte Stoke und stapfte davon. Wir hörten zu, wie seine Krücken sich entfernten und er einen kurzen Hustenanfall bekam.
    »Dieser verkrüppelte Schwule liebt mich«, sagte Ronnie. »Er kann’s nur nicht zeigen.«
    »Ich zeig dir gleich was, wenn du jetzt nicht ein paar Scheiß-Karten gibst«, sagte Skip.
    »Da hab ich aber groffe, groffe Angft«, imitierte Ronnie Elmer Fudd, den lispelnden Hobbyjäger in Bugs Bunny . Er war der Einzige, der das lustig fand. Er legte den Kopf auf Mark St. Pierres Arm, um zu zeigen, welch entsetzliche Angst er hatte.
    Mark riss den Arm unwirsch hoch. »Weg von mir! Das ist ein neues Hemd, Malenfant, da will ich nicht überall deinen Pickeleiter dran haben.«

    Bevor Ronnies Gesicht vor Belustigung aufleuchtete und er losgackerte, sah ich bei ihm ganz kurz einen Ausdruck verletzter Verzweiflung. Er rührte mich nicht. Ronnies Probleme mochten echt sein, aber sie machten es nicht leichter, ihn zu mögen. Für mich war er nur ein Sprücheklopfer, der Karten spielen konnte.
    »Na los«, sagte ich zu Billy Marchant. »Gib schon. Ich will später noch’n bisschen lernen.« Aber in dieser Nacht lernte natürlich keiner von uns. Statt über die Ferien auszubrennen, war das Fieber stärker und höher denn je.
    Ich ging gegen Viertel vor zehn den Flur entlang, um mir ein neues Päckchen Zigaretten zu holen, und wusste schon sechs Türen vor meinem Zimmer, dass Nate wieder da war. »Love Grows Where My Rosemary Goes« kam aus dem Zimmer, das Nick Prouty sich mit Barry Margeaux teilte, aber weiter vorn hörte ich »The Draft Dodger Rag« von Phil Ochs.
    Nate steckte tief in seinem Schrank und hängte seine Sachen auf. Er war nicht nur der einzige Mensch, den ich während meiner ganzen Zeit am College kennengelernt habe, der einen Pyjama trug, sondern auch der Einzige, der jemals die Bügel benutzte. Das Einzige, was ich selbst aufgehängt hatte, war meine Highschool-Jacke. Jetzt holte ich sie heraus und begann, in den Taschen nach meinen Zigaretten zu wühlen.
    »He, Nate, wie geht’s? Hast du dich ordentlich mit Preiselbeersoße

Weitere Kostenlose Bücher