Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
in ihre Strickbluse geführt hatte, an den Geschmack ihres Atems in meinem Mund. Ich dachte daran, wie wir hinter den beschlagenen Fenstern meines alten Kombis nur wir selbst und damit vielleicht am besten gewesen waren. Und ich dachte daran, wie wir gelacht hatten, als wir dastanden und zusahen, wie die Fetzen meines Goldwater-Aufklebers über den Steam-Plant-Parkplatz davonwehten. Daran dachte ich, als ich einschlief.
    Am Sonntag packte ich meine umgemodelte Highschool-Jacke in meinen Koffer und nahm sie mit aufs College - meine Mutter hatte zwar gerade erst ihre Skepsis in Bezug auf Mr. Johnsons und Mr. McNamaras Krieg zum Ausdruck gebracht, aber sie hätte trotzdem einen Haufen Fragen zu der Spatzenspur gehabt, und ich hatte keine Antworten für sie - noch nicht.
    Ich fühlte mich jedoch gerüstet, die Jacke zu tragen, und das tat ich auch. Ich begoss sie mit Bier und bestäubte sie mit Zigarettenasche, kotzte darauf, blutete darauf, wurde in Chicago mit Tränengas besprüht, während ich sie trug und aus vollem Halse »Die ganze Welt sieht zu!«, schrie. Mädchen vergossen ihre Tränen auf das verschlungene GF auf der linken Brustseite (in meinem Abschlussjahr waren diese Buchstaben schmutzig grau statt weiß), und ein Mädchen
lag darauf, als wir miteinander schliefen. Wir schützten uns nicht dabei, also ist wahrscheinlich auch eine Spur Samen auf dem gesteppten Futter. Als ich 1970 meine Sachen packte und LSD Acres verließ, war das Friedenszeichen, das ich in der Küche meiner Mutter hinten auf die Jacke gemalt hatte, nur noch ein Schatten. Aber der Schatten blieb. Auch wenn andere ihn vielleicht nicht sahen, ich wusste immer, was er war.

29
    Am Sonntag nach Thanksgiving kamen wir in folgender Reihenfolge ans College zurück: Skip um fünf (er wohnte in Dexter, am nächsten von uns dreien), ich um sieben und Nate gegen neun.
    Ich rief in Franklin Hall an, noch bevor ich meinen Koffer auspackte. Nein, sagte das Mädchen am Empfang, Carol Gerber sei nicht zurückgekommen. Sie wollte ganz offenkundig nicht mehr sagen, aber ich ließ ihr keine Ruhe. Es lägen zwei rosafarbene ABGEGANGEN-Karten auf dem Tisch, sagte sie. Auf einer stünde Carols Name und ihre Zimmernummer.
    Ich bedankte mich und legte auf. Ich stand eine Minute lang da, vernebelte die Zelle mit meinem Zigarettenrauch und drehte mich dann um. Drüben, jenseits des Flurs, sah ich Skip an einem der Kartentische sitzen. Er hatte gerade einen Stich gemacht.
    Ich frage mich manchmal, ob alles anders gekommen wäre, wenn Carol doch zurückgekommen wäre oder wenn ich eher wieder da gewesen wäre als Skip und eine Chance
gehabt hätte, an ihn heranzukommen, bevor der Aufenthaltsraum im zweiten Stock an ihn herankam. Aber so war es nun eben mal nicht.
    Ich stand in der Telefonzelle, rauchte eine Pall Mall und erging mich in Selbstmitleid. Dann schrie jemand auf der anderen Seite: »O Scheiße, nein! Ich glaub’s einfach nicht!«
    Worauf Ronnie Malenfant (von meinem Platz in der Telefonzelle aus war er nicht zu sehen, aber seine Stimme war so unverkennbar wie der Klang einer Säge, die sich durch einen Knoten in einem Kiefernzweig frisst) hämisch zurückbrüllte: »Leute, seht euch das an - Randy Echolls nimmt die erste Schlampe der Nach-Thanksgiving-Ära! «
    Geh nicht da rein, befahl ich mir. Du bist voll im Arsch, wenn du das tust, und zwar ein für alle Mal.
    Aber natürlich ging ich doch rein. Die Tische waren alle besetzt, aber es standen noch drei andere Typen herum - Billy Marchant, Tony DeLucca und Hugh Brennan. Wir konnten uns eine Ecke aussuchen, wenn wir wollten.
    Skip blickte von seinem Blatt auf und hielt mir in der rauchgeschwängerten Luft die erhobene Hand zum Abklatschen hin. »Willkommen zurück im Irrenhaus, Pete.«
    »He!«, sagte Ronnie und schaute sich um. »Seht mal, wer da ist! Das einzige Arschloch in dem Laden, das halbwegs spielen kann! Wo hast du gesteckt, Gipskopf?«
    »In Lewiston«, sagte ich. »Hab deine Oma gefickt.«
    Ronnie gackerte. Seine pickligen Wangen wurden rot.
    Skip sah mich ernst an, und vielleicht war da etwas in seinen Augen. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Die Zeit vergeht, Atlantis versinkt tiefer und tiefer im Meer, und man neigt dazu, die Dinge zu romantisieren. Zu mythologisieren.
Vielleicht sah ich, dass er aufgegeben hatte, dass er hierbleiben und Karten spielen und dann zu dem übergehen wollte, was als Nächstes kam; vielleicht gab er mir die Erlaubnis, meinen eigenen Weg zu gehen. Aber ich

Weitere Kostenlose Bücher