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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Victory, Sieg, dachte ich damals, aber das war es natürlich nicht. 1969 gehörte das V zu der Spatzenspur wie Schinken zu Eiern.
    Ich überflog den Artikel, aber es stand nichts drin, was mich besonders interessierte. Protestdemonstration … Gegendemonstration … Beschimpfungen … Steinwürfe … ein paar Schlägereien … die Polizei erscheint am Schauplatz des Geschehens. Der Ton des Artikels war hochmütig, angewidert und herablassend zugleich; er erinnerte mich daran, wie Ebersole und Garretsen an jenem Abend im Freizeitraum dreingeschaut hatten. Ihr habt mich enttäuscht, Jungs. Bis auf drei waren sämtliche festgenommenen Demonstranten
später an diesem Tag wieder freigelassen worden, und kein Einziger wurde namentlich erwähnt; das hieß, dass sie vermutlich alle noch unter einundzwanzig waren.
    Blut auf ihrem Gesicht. Und dennoch lächelte sie triumphierend sogar. Mir wurde bewusst, dass Phil Ochs immer noch sang - I must have killed a million men and now they want me back again -, und es lief mir eiskalt über den Rücken.
    Ich wandte mich der Karte zu. Sie enthielt die typischen gereimten Gefühle; es läuft doch immer so ziemlich auf das Gleiche hinaus, nicht wahr? Frohe Weihnachten, und ich hoffe, du stirbst nächstes Jahr noch nicht. Ich las sie kaum. Auf der leeren Seite dem Vers gegenüber hatte sie mir etwas geschrieben. Es war so lang, dass es fast den ganzen weißen Raum einnahm.
    Liebe Nummer 6,
    ich wollte dir nur allerfroheste Weihnachten wünschen und dir sagen, dass es mir gut geht. Ich bin nicht wieder auf dem College, obwohl ich mit bestimmten College-Typen gemeinsame Sache gemacht habe (siehe den beiliegenden Zeitungsausschnitt), rechne aber damit, dass ich irgendwann wieder hingehen werde, wahrscheinlich nächstes Jahr zum Wintersemester. Meiner Mutter geht es nicht allzu gut, aber sie bemüht sich, und mein Bruder kriegt sich allmählich auch wieder in den Griff. Rionda hilft uns ebenfalls. Ich habe Sully ein paar Mal gesehen, aber es ist nicht mehr dasselbe. Er ist eines Abends zum Fernsehen rübergekommen, und wir sind wie Fremde … oder vielleicht eher wie alte Bekannte in Zügen, die in verschiedene Richtungen fahren.

    Du fehlst mir, Pete. Ich glaube, unsere Züge fahren auch in verschiedene Richtungen, aber ich werde die Zeit, die wir miteinander verbracht haben, nie vergessen. Es war die schönste und die beste Zeit (besonders die letzte Nacht). Du kannst mir schreiben, wenn du willst, aber ich wünschte irgendwie, du würdest es bleiben lassen. Es ist möglicherweise für uns beide nicht gut. Das heißt nicht, dass ich mir nichts aus dir mache oder nicht an dich denke, ganz im Gegenteil.
    Erinnerst du dich an den Abend, als ich dir das Bild gezeigt und dir erzählt habe, wie ich verprügelt worden bin? Wie mein Freund Bobby sich um mich gekümmert hat? In jenem Sommer hatte er ein Buch. Der Mann aus dem Obergeschoss hat es ihm gegeben. Bobby sagte, es sei das beste Buch, das er je gelesen habe. Das will nicht viel heißen, wenn man gerade mal elf ist, ich weiß, aber ich habe es in meinem letzten Schuljahr in der Bibliothek der Highschool wiederentdeckt und gelesen, nur um zu sehen, wie es ist. Und ich fand es ziemlich gut. Nicht das beste Buch, das ich je gelesen habe, aber ziemlich gut. Ich dachte, du hättest vielleicht gern ein Exemplar. Obwohl es vor zwölf Jahren geschrieben wurde, finde ich irgendwie, dass es darin um Vietnam geht. Und selbst wenn nicht, ist es doch voller Informationen .
    Ich liebe dich, Pete. Frohe Weihnachten.

    PS: Hör mit diesem blöden Kartenspiel auf.

    Ich las ihre Zeilen zweimal, faltete den Zeitungsausschnitt dann sorgfältig zusammen und legte ihn wieder in die Karte. Meine Hände zitterten nach wie vor. Irgendwo habe ich diese Karte immer noch, glaube ich … so wie »die rote Carol« Gerber bestimmt irgendwo immer noch ihren kleinen Schnappschuss von den Freunden aus ihrer Kindheit hat. Falls sie noch lebt, heißt das. Was keineswegs sicher ist; von den Freunden, die sie zuletzt hatte, leben viele nicht mehr.
    Ich machte das Päckchen auf. Das Buch darin stand in scharfem Kontrast zu dem fröhlichen Weihnachtspapier und dem weißen Satinband. Es war eine Taschenbuchausgabe von William Goldings Herr der Fliegen . Auf der Highschool hatte ich es irgendwie verpasst; ich hatte mich im Literaturkurs in der Abschlussklasse stattdessen für Ein anderer Frieden entschieden, weil das Buch ein bisschen kürzer aussah.
    Ich schlug es auf, weil ich

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