Atlantis
er im Vorbeigehen ein paar Dollar in die Büchse. Er hat ein gutes Gefühl, was den heutigen Tag betrifft. Er ist froh, dass Sharon ihn an das Glitzerbandknäuel erinnert hat - wahrscheinlich hätte er vergessen, es mitzunehmen; letztendlich vergisst er solche Sachen immer - das ornamentale Beiwerk.
Ein zehnminütiger Fußmarsch bringt ihn zu seinem Gebäude. Draußen vor der Tür steht ein schwarzer Jugendlicher, vielleicht siebzehn Jahre alt. Er trägt eine schwarze Jeans und ein schmutziges rotes Kapuzenshirt. Er tänzelt von einem Fuß auf den anderen, stößt Atemwolken aus, lächelt häufig und zeigt einen Goldzahn. In einer Hand hält er einen halb zerknautschten Styroporbecher. Es ist ein bisschen Kleingeld darin, mit dem er fortwährend klimpert.
»’ne kleine Spende?«, fragt er die Passanten, die zu den Drehtüren strömen. »Ha’m Sie’ne kleine Spende für mich, Sir?’ne kleine Spende für mich, Ma’am? Will mir nur’n Happen zum Frühstück holen. Danke, Gott segne Sie, frohe Weihnachten. Haben Sie’ne kleine Spende für mich, Mann?’nen Vierteldoller vielleicht? Danke. Kleine Spende, Ma’am?«
Bill wirft im Vorbeigehen einen Nickel und zwei Zehncentstücke in den Becher des jungen Mannes.
»Danke, Sir, Gott segne Sie, frohe Weihnachten.«
»Gleichfalls«, erwidert er.
Die Frau neben ihm runzelt die Stirn. »Sie sollten diese Leute nicht ermutigen«, sagt sie.
Er zuckt die Achseln und zeigt ihr ein kleines, beschämtes Lächeln. »Zu Weihnachten fällt es mir immer schwer, Nein zu sagen«, erklärt er ihr.
Er lässt sich von einem Strom anderer Leute in die Eingangshalle schwemmen, starrt kurz der rechthaberischen Schnalle nach, die auf den Zeitungskiosk zusteuert, und geht dann zu den Fahrstühlen mit ihren altmodischen Etagenanzeigern und Art-déco-Nummern hinüber. Hier nicken ihm etliche Leute zu, und mit einigen von ihnen wechselt er ein paar Worte, während sie warten - es ist schließlich nicht wie im Zug, wo man in einen anderen Waggon gehen kann. Außerdem ist das Gebäude alt; die Fahrstühle sind langsam und baufällig.
»Wie geht’s der Gemahlin, Bill?«, fragt ein dürrer, in einem fort grinsender Mann aus dem vierten Stock.
»Carol geht’s gut.«
»Und den Kindern?«
»Auch gut. Beiden.« Er hat keine Kinder, und seine Frau heißt nicht Carol. Seine Frau ist die ehemalige Sharon Anne Donahue von der höheren Konfessionsschule St. Gabriel der Standhafte, Abschlussklasse von 1964, aber das wird der dürre, in einem fort grinsende Mann nie erfahren.
»Die können’s bestimmt schon gar nicht mehr erwarten, dass der große Tag endlich kommt«, sagt der dürre Mann. Sein Grinsen wird breiter und ungemein scheußlich. Für Bill Shearman sieht er aus, wie sich ein Karikaturist den Tod vorstellt: große Augen, riesige Zähne, straff gespannte, glänzende Haut. Dieses Grinsen erinnert ihn an Tam Boi im A-Shau-Tal. Als die Jungs vom zweiten Bataillon reingegangen waren, hatten sie wie die Könige der Welt ausgesehen, und als sie wieder rauskamen, sahen sie aus, als wären sie
halb verbrannt der Hölle entronnen. Als sie rauskamen, hatten sie solche großen Augen und riesigen Zähne gehabt. So sahen sie auch noch in Dong Ha aus, wo sie alle ein paar Tage später zusammengewürfelt wurden. Im Busch gab es viele zusammengewürfelte Truppen. Und auch viele Unteroffiziere, die noch grün hinter den Ohren waren.
»Können’s absolut nicht erwarten«, stimmt er zu, »aber ich glaube, Sarah schöpft allmählich Verdacht, was den Burschen im roten Anzug betrifft.« Nun mach schon, Fahrstuhl, denkt er, Herrgott, rette mich vor diesem dummen Geschwätz.
»Ja, ja, so geht’s«, sagt der dürre Mann. Sein Grinsen erlischt für einen Moment, als sprächen sie über Krebs statt über den Weihnachtsmann. »Wie alt ist Sarah jetzt?«
»Acht.«
»Kommt mir vor, als wär sie erst vor ein oder zwei Jahren zur Welt gekommen. Junge, Junge, wie die Zeit vergeht, wenn man Spaß hat, was?«
»Das können Sie laut sagen«, gibt er zurück und hofft inständig, dass der dürre Mann es nicht laut sagt. In diesem Moment öffnet sich endlich seufzend die Tür eines der vier Fahrstühle, und sie drängen sich hinein.
Bill und der dürre Mann gehen im vierten Stock ein kleines Stück zusammen den Flur entlang, dann bleibt der dürre Mann vor einer altmodischen Doppeltür stehen. Auf der einen Milchglasscheibe steht CONSOLIDATED INSURANCE, auf der anderen SCHADENSSACHVERSTÄNDIGE VON
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